Hekate

Ich bin von Anbeginn an bei dir gewesen. Erinnerst du dich nicht an eine Stimme, die sogar die Geburtsschreie deiner Mutter übertönte?

Ich, die Priesterin der Erde, habe bei deiner Geburt und der all deiner Verwandten mitgeholfen. Stumm sah ich zu, wie du heranwuchsest; ich war bei all deinen Übergangsritualen anwesend.

Ich war die Priesterin, die in beiden Händen eine Fackel des Lebens hielt, die eine nach oben zum Himmel, die andere zur Unterwelt weisend, denn es heißt ja: »Wie das Oben, so das Unten.« Selbst die Erde bedient sich meiner.

Ich bin die Königin der Wegkreuzungen, die Hexenkönigin, die Verwandlungskünstlerin.

Jetzt ist meine Jahreszeit; die Hexe in mir schreit und heult furchterregend und hinterläßt Kürbisse in deinem Garten und Wohnzimmer wie orangefarbene Luftballons.

Wir erleben nun die uralte Saison der Hexen, und du heißt mich willkommen: Denn du hast es gern, von mir erschreckt zu werden. Ich zwinge dich, über deinen eigenen Tod zu lachen und deine Kinder in schauderhafte Verkleidungen zu stecken.

Du bekommst die erste Vorahnung von der kalten Jahreszeit, die dich bald bis aufs Mark frieren lassen wird. Ich bringe die Ernte ein, und wenn du deine Äpfel immer noch nicht gepflückt hast, beiße ich sie mit Frostzähnen. Nach Halloween gehört mir alles, was auf den Feldern zurückgeblieben ist!

Wenn du mich ehren möchtest, zeige ich dir meinen Zauber. Ich nehme dir die Angst vor dem Tod und mache dich froh. Ich schütze die Altäre, ob draußen oder drinnen.

Ich spreche in dir, wenn du das Bedürfnis hast, allein auf einem Berg oder auf einer Waldlichtung zu stehen, um den Vollmond anzusprechen.

Ich bin der wilde Teil in dir, dein sechster Sinn, der dir Vorahnungen, Intuition und Träume bringt.

Ich bin die unsterbliche Priesterin und habe drei Gesichter - jung, alt und in voller Blüte.

Ich sehe nach vorn und nach hinten.

Ich bin das Scharnier,
die Türangel der Wirklichkeit,
ich bin deine Urgottheit.

Ich bringe selbst heute noch diese ursprünglichen Gefühle in dein Leben, im künstlichen Wald deiner städtischen Betonwelt.

Meine Hexen fliegen auf ihren Besen, und die Geister zittern vor den Fenstern. Alles ist gut.

Halloween ist da, die Seelen kommen uns besuchen, und die Lebendigen veranstalten ein Fest, um sich mit den Toten ein Stelldichein zu geben.

Ich freue mich an deiner Fröhlichkeit
und wärme mir meine kalten Hände an deinem Feuer.