Die Menschen - lunare Primaten »Mondmagie« Zsuzsanna Budapest Immer
schon war das Bild der Mondin ein meistgeschätztes Symbol für die
Einheit der Seele. Es
gibt auch andere Tiere, die aufrecht stehen können, Bären beispielsweise.
Andere Tiere machen ebenfalls Werkzeuge und benutzen sie, um an ihr Futter zu kommen. Manche benutzen Steine, um Früchte aufzuknacken. Nein, das Werkzeug war es nicht. Und das Feuer, denke ich, auch nicht. Ich glaube, daß das Feuer erst gezähmt wurde, nachdem wir uns von unserem tierischen Selbst getrennt hatten. Wir trainierten uns zuerst darauf, vor dem Feuer keine Angst zu haben. Das war bereits eine menschliche Handlungsweise. Aber was hat uns letztendlich zu Menschen gemacht? Wenn irgend etwas so Wichtiges in der Geschichte auftaucht, betrachte ich immer den Sex. Dort liegt, so glaube ich, die Antwort. Wir
wurden zu menschlichen Wesen, als wir die schoßreinigende Menstruation
(die bei anderen Säugetieren Östrus genannt wird, jahreszeitlich,
nicht monatlich ist und der sofort der Eisprung und die Produktion von Pheromonen,
die das andere Geschlecht anziehen, folgen) von der sexuellen Empfänglichkeit
trennten. Wir wurden zu Menschen, als wir begannen, auf die Strahlen der Mondin zu reagieren statt auf das wechselnde Sonnenlicht, das in allen anderen Tieren den Östrus auslöst. Wir wurden zu Menschen, als wir die ersten und einzigen menstruierenden Tiere wurden. Oder besser gesagt, wir waren dann keine Tiere mehr. Der Östrus wird bei Tieren durch die Abnahme oder Zunahme der Stunden des Tageslichts ausgelöst. Der Valentinstag, an dem wir die Liebenden ehren, stammt von dem älteren Fest Lupercalia um Lichtmeß herum, wo die Wölfinnen Iäufig werden. Was geschieht um den 2. Februar herum? Die Stunden des Lichts werden länger. Zuerst werden die kleineren, dann die größeren Tiere davon beeinflußt und die Paarungszeit rückt heran für unsere tierischen Freunde. Tiere haben an der Paarung als Individuen kein Interesse (obwohl manche sich lebenslange Partner suchen). Sie sind von der Menge des Sonnenlichts, das die Veränderungen in ihren Körpern auslöst und sie vor allem zur Paarung treibt, völlig abhängig. Ich machte einige Telefonate. Ich rief Ärztinnen an. Ich rief einen Biologen an. Ich rief Frauen und Männer an. "Stimmt es, daß wir die einzig menstruierende Spezies sind?" fragte ich. Dann war Pause. Aber die Antwort war immer die gleiche - ja, das sind wir. Alle rätseln, warum sie niemals an diese Tatsache gedacht hatten. "Also kann ich eigentlich sagen, daß wir lunare Primaten sind?" »Ich kann nichts sehen, was dagegen sprechen würde«, versicherten die mir befreundeten Ärztinnen. »Warum habe ich noch nie etwas darüber gehört?« Leider war die Antwort nur allzu alt und wohlbekannt. Ich hatte noch nie von dieser unglaublichen, die Spezies transformierenden Entwicklung der Evolution gehört, weil es Frauen waren, die sie vollbracht hatten und nicht die Männer! Wegen dieser Veränderung in den Frauen werden Menschenwesen nicht mehr brünftig. Tagundnachtgleichen und Sonnwenden sind Feiertage der Erde, aber sie zwingen uns nicht, dem ersten dahergelaufenen Mann unser Geschlecht zu präsentieren. Der einzige verbliebene Ort, an dem alle weiblichen Wesen zugleich in sexuell empfänglicher Stimmung sind, ist das Puff. Männer lieben Puffs, weil sie sie wohl an die guten alten Zeiten erinnern, als wir alle noch unschuldige Tiere waren, die alle zugleich brünftig wurden. Es wurden keine Forderungen an die Männchen gestellt, keine Verabredungen zum Essen oder Theaterkarten. Es war nicht nötig, nett zu uns zu sein, uns mit Blumen zu beschenken und sensibel (mondfühlig) zu sein. All das romantische Sehnen kommt nur von den Frauen, die die einfachen, alten solaren Gebräuche durcheinandergebracht haben. Die ganzen neuen kulturellen Anforderungen kommen nur davon, daß Frauen diese einfachen Primaten, die wir einst waren, zu Menschen gemacht haben. Das Aufkommen der Menstruation trennte uns von den anderen Tieren; die Menstruation ermöglichte es uns, uns zu Menschenwesen zu entwickeln. Die Menschwerdung unserer Spezies und die Erfindung der Kultur waren eine unmittelbare Errungenschaft dessen, daß die Frauen die Emanzipation von der obligatorischen Paarung gefunden hatten. Die Frauen entwickelten die Menstruation und befreiten sich von der Notwendigkeit, sich nur um der Fortpflanzung willen zu paaren. Was
die Vermehrung anbelangt, ist unsere Spezies dadurch erfolgreicher geworden,
weil wir nun die ganze Zeit über sexuell verfügbar sind (oder zu
keiner Zeit, wie wir wollen), aber die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft
gestiegen ist. Die Schattenseite dieser neuen Erscheinung brauchte ein wenig
Zeit, um sichtbar zu werden. Erst das Patriarchat mit seiner Kontrolle über Frauen hat sie zutage gebracht. Sie ist das, was wir heute sehen: Übervölkerung ist möglich geworden. Wie kam das? Wie haben die Frauen umgeschaltet, so daß sie auf den sanften Magnetismus der Mondin reagierten statt auf die Strahlen der Sonne? Wie konnte das geschehen? Unser häufiger Eisprung entwickelte sich vermutlich in wärmeren Klimazonen, weil dort die Jahreszeit, in der die Geburt erfolgte, keine Rolle spielte. Unsere Spezies entwickelte eine große, ihr innewohnende Vielfältigkeit - wir gleichen einander nicht wie ein Ei dem anderen - und die Zeiten des Gebärens begannen voneinander abzuweichen. Das ging Hand in Hand mit einer zunehmenden Hilflosigkeit unserer Babys. Könntest du dir eine Gruppe vorstellen, in der alle Frauen gleichzeitig gebären? Eine äußerst verwundbare Gruppe wäre das gewesen. Sobald es öfter als einmal oder ein paarmal im Jahr zum Eisprung kam, war es leicht möglich, da wir von der Mondin beeinflußt wurden, daß wir begannen, dem Zug der Gezeiten der Mondin an unserem Gewebe nachzugeben, weil Sex von Natur aus rhythmisch ist. Aber wir werden immer noch nicht allzu streng von der Mondin regiert. Die meisten von uns menstruieren während der Neumondzeit, aber es gibt auch diejenigen, die ihre Periode zur Vollmondin haben, oder wenn sie ab- oder zunimmt. Die Männer haben sich nicht zu lunaren Primaten entwickelt wie die Frauen. Männer
mußten ihren Körper nicht verändern, um mit den Frauen die
Straße der Menschwerdung entlang zu marschieren. Sie brauchten bloß
ihr sexuelles Interesse von »jahreszeitlich bedingt« hin zu »täglich
vorhanden« zu erhöhen. Darum haben wir auch manchmal das Gefühl,
daß das andere Geschlecht gar eine völlig andere Spezies ist.
Bei den meisten Arten tritt die Brunft bei beiden Geschlechtern zur selben
Zeit auf. Nicht so bei uns. Männer haben so einen lunaren Zyklus nicht.
Darum sind Männer immer zur Begattung bereit, egal wann der Eisprung
bei den Frauen auftritt. Die Menstruation (Unfruchtbarkeit) und die Ovulation
(Fruchtbarkeit) sind wie zwei Speichen am sich drehenden Rad der Emanzipation.
Die meisten Frauen menstruieren, wenn die Mondin neu ist. Fruchtbar sind
sie, wenn Vollmondin ist. Die andere Hälfte menstruiert zur Vollmondin.
Diese Frauen sind fruchtbar, wenn die Mondin neu ist. Die Mondin und die Frauen haben zusammengearbeitet und unsere Spezies geschaffen, die einzige menstruierende Spezies auf Erden. Aus unserer sexuellen Verfügbarkeit ergaben sich Stammesbildungen und nach und nach die Zivilisation. All das ist die Errungenschaft der Frau, aber das Bewußtsein darüber wird unterdrückt, aus Furcht. daß Frauen sich ihrer ehrfurchtgebietenden Funktion erinnern könnten. Unsere jetzige Gesellschaft ist psychisch am weitesten von der Mondin entfernt. Wir betonen Werte, die solar sind: Logik, Aktivitäten der linken Gehirnhälfte, körperliche Meisterschaft, Wettbewerb. Als Reaktion auf unsere Wesensart als lunare Primaten beanspruchten die Männer die Sonne für sich. Auch die Sonne war ursprünglich in den meisten Gesellschaften weiblich, wie Pat Monaghan, eine Göttinnenmythologin, herausfand. Das
Patriarchat verlangt, daß die Menstruation versteckt wird und hat sie
mit Scham verknüpft. Sie wird als schmutziges Verbrechen angesehen;
sie wird wie ein Fluch verachtet. Männliche Mythologen verbinden sie
mit dem Stigma der Unberührbaren; Religionen mit einem männlichen
Gott verbieten Frauen, in diesem Zustand an den heilige Riten teilzunehmen.
Wir
lehren unsere jungen Frauen, ihr Blut zu verbergen, wir lehren sie ihren
Verstand zu verstecken. Die Männer müssen lernen, sich wieder mit
den Frauen zusammen als eine Spezies zu betrachten und aufhören, sich
nach den alten Primaten-Östrus-Zeiten zu sehnen. Die Männer müssen
die Tatsache anerkennen, daß es die Frauen ihrer Gattung sind, die
für die Erschaffung des Homo sapiens verantwortlich sind und daß
es den Frauen zu verdanken ist, daß sie dieser bemerkenswerten Spezies
angehören. Das sollte weder ihr Primatenego beleidigen, noch Haß auf die Frauen dafür hervorrufen, daß sie die Dinge verändert haben. Die Männer sollten stolz auf die Frauen und dankbar für ihr Leben sein. Intellektuell jedoch haben die Männer äußerst stark lunar reagiert. Die Faszination der Männer von der Mondin und deren physische Erforschung zeigen eine Aussöhnung, einen ersten Schritt, Frieden zu schließen trotz ihrer vergangenen Mißachtung der Mondin, und den Beginn ihrer neuen und kraftvollen Auseinandersetzung mit der Mondin im Zeitalter der Technologie. Die Männer sind persönlich zur Mondin geflogen. Heutzutage sehen Frauen die Mondin kaum einmal an oder schenken ihr Aufmerksamkeit. Wir sind den Quellen unserer Macht entfremdet und fern und darum haben wir menstruelle Krämpfe, und das prämenstruelle Syndrom entwickelt. Wie alte Telefondrähte sind die lunaren Gezeiten, die uns einstmals soviel Weisheit und. Erneuerungskraft verliehen hatten, jetzt, als würden sie einfach von den Masten hängen und von den Stürmen umhergepeitscht werden. Wir versuchen wieder die alten Verbindungen herzustellen, aber die Signale sind durcheinandergeraten. Eins ist sicher: Was die Frauen mit ihren Körpern vollbrachten, befreite unsere Spezies von der niemals endenden Last der Aufzucht und trennte den Gedanken an Sex von der Fortpflanzung. Sex wurde zu einem eigenständigen kulturellen Faktor für Freude und Lust, Romantik und Liebesaffären. Die Schaffung des Lebens wurde eine Wahlmöglichkeit für Frauen, eine von Jahrtausenden gewonnene Wahlmöglichkeit. Immer noch versetzen unsere Körper das männliche Establishment in Wut. Noch nach so vielen Zeitaltern bekämpfen sie unsere Errungenschaft und versuchen die Uhr der Evolution zurückzudrehen. Sie versuchen Frauen wieder zu solaren Kreaturen zu machen, machen unsere Körper zum Schlachtfeld der Männer gegen die Frauen und wünschen sich die alten Zeiten zurück, in denen jeder sexuelle Kontakt als Ergebnis ein Kind zeugte und jede Empfängnis eine Geburt bedeutete, als kein Weibchen jemals nein sagte. Letztendlich
drücken sich die Naturgesetze durch die Frauenkörper aus, nicht
durch Männerkörper. Kein männlicher Gott, kein windiger Priester,
kein Oberster Richter kann etwas dagegen unternehmen. Wir alle, Männer
wie Frauen, gehören zur Mondin. Es gibt eine alte Prophezeiung, nach der die Göttin sich schlafen legt und ihren Söhnen erlaubt, ihre Macht so lange an sich zu reißen, bis sie bei allem kläglich versagt haben. Sie sind mit Korruption und Kriegen, die nicht gewonnen werden können, geschlagen, mit einer schlechten Wirtschaft und mangelndem Glauben, ohne Zufriedenheit bei Reich und Arm; ihre Herzen sind leer, ihre Betten bar jeder Liebe. Laut
dieser Geschichte wird die Menschheit in ihrer Qual die Götter um Rettung
anflehen. Dann wird die Göttin durch ihre Frauen erwachen und ihren
Plan enthüllen, den die Frauen dann für sie in die Tat umsetzen.
Auf
Kriege wird dann kein Wert mehr gelegt - das ist alter, solarer Primatenkram.
Die Männer haben ihre Lektion gelernt. Auch sie werden das Glück wählen, Wohlstand, die Künste und die Frau en, anstatt für nichts und wieder nichts, für ihren Stolz zu sterben. Die Militärmaschinerie wird knirschend zum Stillstand kommen. Die Männer werden froh sein, daß sie rehabilitiert sind und dem Leben dienen können statt dem Tod. An diesem Punkt wird die Mondin wieder beide Geschlechter einladen, an der neuen Menschheit teilzuhaben. In dieser - nicht allzu fernen -Zukunft werden Männer und Frauen nicht länger das Gefühl haben, verschiedenen Gattungen anzugehören. Und
der Kampf der Geschlechter
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