Ratschläge eines Sterbenden für seinen Begleiter

Laß nicht zu, daß ich in den letzten Augenblicken entwürdigt werde.
Das heißt: Laß mich, wenn es irgend einzurichten ist, in der vertrauten Umgebung sterben.
Das ist schwer für Dich.
Aber es wird Dich bereichern, Sterbe-Begleiter zu sein.

Bleibe bei mir, wenn mich jetzt Zorn, Angst, Traurigkeit und Verzweiflung heimsuchen.
Hilf mir, zum Frieden hindurchzugelangen.

Denke dann nicht, wenn es so weit ist und Du hier ratlos an meinem Bett sitzt, daß ich tot sei! Das Leben dauert länger, als die Ärzte sagen. Der Übergang ist langwieriger, als wir bisher wußten. Ich höre alles, was Du sagst, auch wenn ich schweige und meine Augen gebrochen scheinen. Drum sag jetzt nicht irgendetwas, sondern das Richtige. Du beleidigst nicht mich, sondern Dich selbst, wenn Du jetzt mit Deinen Freunden belanglosen Trost erörterst und mir zeigst, daß Du in Wahrheit nicht mich, sondern Dich selbst bedauerst, wenn Du nun zu trauern beginnst. So vieles, fast alles ist jetzt nicht mehr wichtig.

Das Richtige, was Du mir jetzt sagen möchtest - wenn ich Dich auch nicht mehr darum bitten kann -, wäre zum ersten das, was es mir nicht schwer, sondern leichter macht, mich zu trennen. Denn das muß ich. Ich wußte es auch längst, bevor Du oder der Arzt es mir mit Euren verlegenen Worten eröffnet hattet. Also sag mir, daß Ihr ohne mich fertig werdet. Zeig mir den Mut, der sich abfindet, nicht den haltlosen Schmerz. Mitleid ist nicht angebracht. Jetzt leide ich nicht mehr. Sag mir, daß Du das und das mit den Kindern vorhast und wie Du Dein Leben ohne mich einrichten wirst. Glaub nicht, es sei herzlos, das jetzt zu erörtern. Es macht mich freier.

Das Richtige wäre das Wort, aus dem ich gelebt habe. Wenn nichts bleibt vom Leben auf Erden, so sind es doch diese Worte. Und wenn sie nie Worte geworden wären in unserem Leben, so mußt Du jetzt versuchen, sie zu finden. Hat sie es nie gehabt, so hat unsere Liebe doch immer auf ihr Wort gehofft. Vielleicht war es ein einziger Bibelvers, aus dem wir leb-ten - ein Leben lang; ein einziger, der unser Suchen jetzt zusammenfaßt. Versuch, ihn zu finden und mir ins Ohr zu sagen. Ich höre.

Ich höre, obwohl ich schweigen muß und nun auch schweigen will. Halte meine Hand! Ich will es mit der Hand sagen, wisch mir den Schweiß von der Stirn! Streich die Decke glatt. Bleib bei mir. Wir sind miteinander verbunden. Das ist das Sakrament des Sterbebeistands. Wenn nur noch die Zeichen sprechen können..., so laß sie sprechen ...

Dann wird auch das Wort zum Zeichen. Jetzt hättest Du mehr von mir zu lernen als ich von Dir. Ich blicke schon durch die Tür. Jetzt, da ich davon-gehe, wünsche ich, daß Du das Gute erkennst, das Gott uns jetzt schickt. Klage nicht an - es gibt keinen Grund. Sage Dank - ich werde Gott schauen. Und Dir wird es auch geschenkt werden.

Morgen, wenn sie Dich nicht mehr allein lassen mit mir, sorge da für, daß der Ton dieser Stunde uns nicht verlorengeht. Laß die ehrenden Worte auf der Anzeige, den Aufwand auf dem Friedhof. Das alles erreicht mich nicht mehr.

Und wenn Dir mein Sterben ferner und ferner rückt, die letzten Kondolenzen beantwortet sind und Du, wie es jedermann erwartet, in Trauer zurückfallen sollst, so wehre Dich mit aller Kraft! Das viele Trauern in der Welt ist nur die andere Seite des Unglaubens, und das schlimmste ist, daß gerade die meisten Christen Ernst und Traurigkeit verwechseln und von der Sonne singen, ohne sie zu leben. Du sollst von mir nur wissen, daß ich der Auferstehung näher bin als Du selbst.

Nimm mit Dir, was wir zusammen erlebt haben - als ein kostbares Vermächtnis. Laß mein Sterben Dein Gewinn sein, wie das Sterben unseres Heilands unser Gewinn ist. Leb Dein Leben fortan ein wenig bewußter als Dein «Leben vor dem Tod». Es wird schöner, reifer und tiefer, inniger und freudiger sein, als es zuvor war - vor meiner letzten Stunde, die meine erste ist.


Aus dem Buch: Verlaß mich nicht, wenn ich schwach werde.