Die
Jungfrauen bei den Drachen
Als es Herbst wurde, schaute der König sorgenvoll
aus dem Fenster.
Zum vollen Mond wurde das Jungfrauenopfer fällig, und es war kein
junges - von einem Mann unberührtes - Mädchen mehr im Lande
übrig, außer seiner Tochter.
Das Jungfrauenopfer war ein düsteres Kapitel seiner Herrschaft. Kaum
hatte er das Land erobert, die Königin zur Frau genommen und sein
Regiment überall im Land errichtet, war diese alte Frau gekommen,
um mit ihm zu sprechen. Er wollte sie fortschicken lassen, aber sie stand
plötzlich mitten im Thronsaal. "Köpft sie!" rief er außer
sich.
Doch seine Männer waren von einem seltsam starren Grausen gepackt
und konnten sich nicht rühren. |
"Ich
bin die Großmutter der Drachen, eine Ahnin deiner Frau, die du umgebracht
hast", sagte die Alte.
Er versuchte, die Gedanken an seine schöne Frau wegzuwischen, die
vom Turm gesprungen war, um ihm nicht gehören zu müssen.
"Wenn du nicht jedes Jahr ein junges, unschuldiges Mädchen zur Drachenhöhle
im Drachenstein bringst, werden die Drachen kommen und dein Land im Feuer
vernichten." Weg war sie. Natürlich schenkte er der wirren
Rede dieser alten Zauberin keinen Glauben. Er dachte gar nicht daran,
die Forderung zu erfüllen. Nicht, weil er mit den Mädchen Mitleid
hatte, sondern, weil er, der König, sich nicht von einem alten Weib
erpressen ließ. Man trank und sang und fiel unter die alten Eichentische.
Der Herbst kam. Kein Mädchen wurde zur Drachenhöhle gebracht.
Aber als die Blätter gefallen waren und die Nacht des vollen Mondes
kam, saß plötzlich um Mitternacht ein kleiner Drache auf des
Königs Fensterbank. |
"Wo
ist die Jungfrau?" krächzte er und bei jedem Wort kam ein Feuerstoß
aus seinem Maul, fraß sich durch das Zimmer, durch die Pelze des
Königs bis zu seinen Barthaaren.
Er
fuhr aus dem Schlaf hoch. Der Drach segelte vor seinem Fenster vorbei
und entfernte sich. Im Zimmer des Königs sah es aus
wie nach einer Schlacht. er raufte sich, was von seinen
Haaren noch übriggeblieben war und mußte nun einsehen,
daß es die Drachen gab und er mitsamt all seinen Soldaten machtlos gegen
sie war.
Er ließ also im Land ausrufen, daß eine Jungfrau unverzüglich
zu ihm gebracht werde. Als keine freiwillig kam, schickte
er Soldaten aus. Schließlich war eine gefunden,
so sehr sie sich auch wehrte und weinte, es half ihr nichts.
Sie mußte zur Drachenhöhle gehen. Ein
langer Trauerzug begleitete sie, hinter ihr die weinenden Eltern, die Freunde,
dann Mitglieder des Königshauses und schließlich das Volk.
Am Eingang der Höhle stand die Großmutter und
nahm das Mädchen in Empfang. Dann verschwanden die
beiden in der Höhle und wurden nicht mehr gesehen. |
Jahr
für Jahr ging das nun so.
Wenn die Blätter gefallen waren und der Mond voll wurde,
mußte eine Jungfrau zur Höhle gehen.
Die Väter brachen in Panik aus, versteckten ihre
Töchter oder schickten sie außer Landes.
Seltsam war nur, daß die Mädchen sich immer
weniger fürchteten.
Von der Tochter des Schmieds erzählte man sich, daß
sie in der Nacht zuvor geträumt hatte, alle Jungfrauen des Landes hätten
sie im Drachenland erwartet und ein großes Fest wurde zu ihrem Empfang gegeben,
bei dem die Großmutter der Drachen, die in Wirklichkeit eine alte Königin
war, Sternblumen an alle verteilte. |
"Das
Schicksal ist gnädig mit ihr" raunten die Leute, "Sie
ist nicht mehr ganz richtig im Kopf."
Während der König am Fenster grübelte, saß
die Prinzessin in ihrem Zimmer und schmückte
sich.
Sie hatte ihr schönstes Kleid angezogen, am Nachmittag hatte sie sich
einen Kranz aus Wiesenblumen geflochten, den sie jetzt auf ihr schwarzes Haar
setzte:
"Wartet nur, meine Freundinnen. Jetzt komme ich auch zu euch. Mein Vater
wollte mich zwar aus dem Land schmuggeln, aber ich habe ein solches Gezeter
veranstaltet, daß er seine Pläne bald aufgab."
Plötzlich klopfte es an die Tür. ihre Zofe flüsterte: "Da
ist ein Prinz, der möchte dich sprechen."
Die Prinzessin öffnete die Tür. Ein junger Mann stand draußen.
Er war sehr aufgeregt. "Prinzessin, ich werde dich retten
und mit dem Drachen kämpfen". sagte er. Sie betrachtete
ihn verwundert.
"Ich will den Drachen töten und dich zur Braut nehmen"
rief er, zog sein Schwert aus dem Leder und legte es ihr zu Füßen.
Sie schob mit ihren Zehen das Schwert ein wenig beiseite.
"Wir werden sehen", sagte sie. "Du kannst ja mit zur Drachenhöhle
kommen, das Weitere wird sich wohl ergeben."
Der Prinz verneigte sich tief vor ihr und verschwand.
Bald war es Zeit zu gehen. Ein Diener hatte aber an der Tür der Prinzessin gelauscht
und wußte nun von den Plänen des Prinzen. Da er selbst in die Prinzessin
verliebt war, beschloß er, den Prinzen kämpfen zu lassen und
selbst zum König zu gehen, wenn der Drache tot war,
um sich die Belohnung zu holen.
Er folgte heimlich dem Trauerzug, der von der Prinzessin
mit ihrer Zofe angeführt wurde, gefolgt vom König,
von Soldaten in Viererreihen, die blutrünstige Lieder sangen.
Dahinter kam, wie immer, das Volk, das über die Schönheit und
Heiterkeit der Prinzessin staunte.
Als sie nun alle zur Drachenhöhle kamen, die silbrig im Licht
des vollen Mondes wurde ein tränenreicher Abschied
gefeiert. Die Sänger und Gaukler machten Lieder über
das Ereignis und zogen gleich los, um die Neuigkeit zu verbreiten, daß
nun auch die Prinzessin bei den Drachen weilte. |
Die
Drachengroßmutter stand in einem dunklen Umhang
plötzlich mitten in der Höhle, steckte die Arme nach der Prinzessin
aus und mit lautem Klagen und Schreien entfernten sich alle Leute.
Nicht so der tapfere Prinz - aber auch der Diener nicht, der sich hinter
einem Busch versteckte.
Der Prinz zückte das Schwert und schrie "Zeig dich, du feiger Drache,
daß ich dich niederwerfen kann!"
Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, kam ein Drache aus der Höhle
gekrochen, grüngelb, mit silbrigen Schuppen, auf
dessen spitzen Rückenwirbeln einige Mädchen saßen
und winkten.
"Du bist kein schlechter Mensche", rollte und ächzte der Drache,
bei jedem Wort loderten Feuer und Schwefel aus seinem Maul, und der Prinz
mußte sich wegducken, um nicht versengt zu werden. "Warum willst
du mit mir kämpfen?" |
"Weil
du jedes Jahr eine Jungfrau holst" sagte der Prinz tapfer.
"Und weil du meine Prinzessin holen willst."
Die Mädchen auf dem Rücken des Drachen fingen an zu kichern.
Die Prinzessin aber stellte sich auf die Fußspitzen
und küßte den Prinzen auf die Stirn.
"Laß uns keine Zeit verlieren." sagte sie.
Er zog sein Schwert, hielt aber verblüfft inne, als er
sah, daß sie mit Hilfe der Alten auf den Drachen
kletterte, die Hand der Schmieds-Tochter ergriff und es
sich auf einer Silberschuppe bequem machte.
Der Prinz zwinkerte mit den Augen, berappelte sich aber schnell und stieß
sein Schwert mutig dem Drachen in die Seite. Dieser drehte
nur leicht den Kopf und brummte: "Mach die Fliege", was
er nicht zweimal sagen mußte, denn der Feuerstoß trug
den Prinzen ins Gebüsch, zu dem hinterhältigen Diener, der ihn
auffing und nun keinen Grund mehr sah, ihn zu töten.
|
Denn
der Drache verschwand mit der Prinzessin in die Höhle,
ohne überhaupt seine volle Körperlänge zu zeigen.
"Ich bin verletzt", stöhnte der Prinz, und die beiden verhinderten
Liebhaber wankten gemeinsam davon.
Da die beiden keine Lust hatte, dem König unter die Augen
zu treten, machten sie sich auf die Wanderschaft.
Die Prinzessin indessen durchquerte auf dem Rücken des Drachen, zitternd
vor Aufregung an die Freundin geschmiegt, die dunkle Höhle,
die sich bald weitete und zu einer Wiese hin öffnete.
Große, runde Felsen waren auf der Wiese verstreut.
Auf ihnen saßen die Jungfrauen, um die Prinzessin zu empfangen.
Da gab es ein großes Hallo, und die Jungfrauen sprangen herum, lachten
und küßten sich. Dann ertönte ein schrilles
Zirpen, alle nahmen das Geräusch auf und trillerten
und pfiffen, zischten und jaulten, bis endlich zwischen den Felsen die
Großmutter der Drachen stolz aufgerichtet in einem Kleid in der
Farbe des Meeres hervortrat und in die Hände klatschte.
Da spuckten die Drachen einen Ring aus Feuer, in dem alle
Mädchen erst sanft dann immer wilder tanzten und sangen, und
die Prinzessin wußte, daß sie jetzt eine Frau war, denn sie
blutete wie alleanderen. Ein großer, silbriger Vollmond
stand über der Wiese. |
Die
ganze Nacht ging das Fest, es gab rote Speisen und Getränke - Granatäpfel, rote
Hirse-Kuchen, Beerensaft und Früchtewein. Die Drachen schnaubten
Feuerwerke in die Luft, die Tiere des Waldes kamen hinzu und
tanzten mit, aber langsam fiel eine Jungfrau nach der
anderen in Schlaf.
Als es ruhig wurde und auch die Drachen eingeschlafen
waren, ging die Großmutter der Drachen weit hinter die Felsen
zu einem großen schwarzen Kessel, unter dem ein lustiges Feuer brannte.
In diesem Kessel kochte sie Bilder und Träume. Ein lieblicher Duft
stieg auf nach Rosen, Jasmin, Rosmarin, Lavendel, Weihrauch,
Vanille, Orange und Zimt, schwebte über die nacht-neblige
Wiese dahin zum Meeresstrand, zog über Meer, und manche
der Nebel gelangten durch die Drachenhöhle in die Welt der Menschen.
Manchmal wacht eine Frau in der Nacht unruhig auf und eine große
Sehnsucht wird wach nach dem Land, in dem die Großmutter
der Drachen Bilder zu Träumen kocht. Meine
Geschichte ist eine Lüge, und wie jede Lüge ist sie wahr, und
ich wollte, du und ich, wir wären dabei gewesen. |
|