Die heilende Kraft lunarer Dunkelheit

Eine der Aufgaben des Mondes, die fast gänzlich von der westlichen Gesellschaft ignoriert worden ist, betrifft die heilenden Fähigkeiten des Unbewußten, wenn es bewußt gewählt wird. Die moderne Psychotherapie basiert auf dem Grundsatz, das Unbewußte bewußt zu machen, die Emotionen und Instinkte besser kennenzulernen und diese Erkenntnis in die Identitätserfahrung aufzunehmen.
Liebende jedoch, die sich der Ekstase einer Verschmelzung von Körper und Seele hingeben, Frauen, die die symbiotische Einheit der Schwangerschaft erleben, Meditierende, die ihren Verstand loslassen und eins werden mit ihrem Atem oder ihrem Mantra, und Künstler, die ihre Denkprozesse transzendieren und ihren schöpferischen Kräften erlauben, sie zu führen - sie alle kennen die tiefe Ebene der Erfüllung und Regeneration, die erreichbar ist, wenn man aufhört zu kontrollieren, zu interpretieren, zu organisieren, zu analysieren oder zu verstehen.

Das Kind ist in die Dunkelheit des Schoßes geboren; das Küken ist geschlüpft nach dem Ausbrüten in der Dunkelheit des Eies. Geburt beginnt in der Dunkelheit; Morgendämmerung folgt auf die lange Nacht.
Häufig zerstört das Licht des Bewußtseins, was es zu erhellen sucht. Psyche, in dem Mythos von, Amor und Psyche, verlor ihren Liebhaber Amor, indem sie eine Kerze anzündete, um
ihn zu sehen, statt der Liebe zu trauen, die er ihr in der Dunkelheit gab.
Wir dürfen die Brutzeit nicht unterbrechen oder uns antreiben, vor der Zeit Früchte zu tragen. Einen Samen aus der Erde zu ziehen, bevor er gekeimt hat, eine Larve zu öffnen, bevor der Schmetterling seine Flügel geformt hat, bedeutet, das neue Wachstum oder das neue Leben schlechthin zu verhindern.
Wir assoziieren Dunkelheit mit Tod, Depression, Isolation mit dem Bösen. Schwarz ist dunkel, und alles, was schwarz ist, ist durch weißes Bewußtsein unterdrückt worden.
Wir vergessen die Dunkelheit der Gebärmutter oder die reiche fruchtbare Dunkelheit der Erde, Sogar die stille inspirative Dunkelheit der Nacht, wenn das Denken entspannt ist und Intuitionen und Visionen frei zum Vorschein kommen.
Wir halten die Bindung an das Wachbewußtsein fest und entwerten so ein Drittel des Lebens, den Schlaf, die Dunkelheit, der wir uns, um der kommenden Morgendämmerung willen, überlassen.
Gefühle von Schmerz, Zorn und Angst werden zu dunklen abgelehnten Gefühlen, im Widerstreit mit den hellen Gefühlen von Freude, Frieden und Liebe, die wir gerne annehmen. Wir ertragen die Dunkelheit nur um des Lichtes willen, statt sie um ihrer selbst willen zu schätzen. Wir ringen verzweifelt die Hände, wahrend wir uns mit der Umweltverschmutzung, der Bedrohung durch die Kernenergie, den Kriegen, den Morden und sogar den bösartigen 'Scheidungsschlachten' in denen immer der andere der Feind ist, auseinandersetzen.

Wer trägt die Schuld? Wir tragen die Schuld! Nicht dadurch, daß wir bewußt werden, aber dadurch, das die Bewußtwerdung auf die falsche Weise geschieht. Wir sind nicht deshalb schuldig, weil wir unbewußt sind, denn in mancher Weise sind wir zu unbewußt, sondern deshalb, weil wir die Fähigkeit verloren haben, uns den heilenden Dimensionen des Unbewußten hinzugeben.

Das Licht rationalen Bewußtseins ist Sonnenlicht, das Licht der männlichen Sonne, eine Gabe des Sonnengottes, Gottvaters, des Patriarchats, der männlichen Überlegenheit.
Das Licht der Sonne ist unfähig, in die Dunkelheit einzudringen; es geht unter, um in die Dunkelheit hineinzuführen; es geht auf, um die dunkle Nacht aufzulösen. Nur Der Mond und die Sterne können die Dunkelheit erhellen, können zur gleichen Zeit existieren und, erschreckende Dunkelheit des Weltalls in einen lebendigen ehrfurchtsgebietenden Abendhimmel verwandeln.

Sonnenlicht ist polarisiertes Licht - es schafft starke Kontraste; es zerteilt Hell und Dunkel. Wo Sonne ist, gibt es Schatten, die Projektionen des verleugneten unbewußten Selbst.
Wo Mond ist, gibt es Hoffnung auf Vereinigung von Dunkelheit und Licht.

Wenn die Dämonen des Unbewußten drohen, uns innen wie außen zu überwältigen, wird der rationale Verstand hilflos.
Sonnenbewußtsein verliert seine Macht im Angesicht der Dunkelheit.
Heilung kann dann nur durch Mondbewußtsein kommen, aus der tiefen Kreativität und Fruchtbarkeit der Hingabe an Instinkte und Gefühle, an Intuition und Imagination, an den Urgrund unseres Wesens, der der Urgrund der Mütter ist, die uns geboren haben und der Erde, die uns noch ernährt.
Wir müssen die Dunkelheit annehmen und in das chaotische Loch in uns selbst hinabsteigen, in die persönliche und kollektive Unterwelt, um unsere Wurzeln nach unten zu strecken statt die Zweige hinaufwachsen zu lassen, bis wir fallen. Wir bedürfen der Wiederentdeckung unserer Grundlagen.

Aber um dahin zu kommen, müssen wir uns von einigen Neigungen und Verhaltensweisen in der äußeren Welt trennen. Wir müssen einige der Ziele aufgeben, die eher von Haben, Streben, Erreichen und Werden abhängig sind als von Sein und dem tiefen Ruhen im nährenden Schoß des eigenen Wesens.
Einsamkeit, Qual und Terror müssen wir annehmen und an die heilenden Fähigkeiten glauben, während wir vertrauensvoll ganz in das Gefühl hineingehen.
Dies geschieht nicht, um das Gefühl zu glorifizieren oder in ihm zu schwelgen, auch nicht, um daran festzuhalten, sondern um hindurchzugehen und es loszulassen, während wir uns wieder mit den warmen. nährenden, wässerigen und den stabil erhaltenden irdischen Kräften in unserem Kern vereinen. Von den solaren Bemühungen um Vernunft und Kontrolle müssen wir uns befreien, um uns der Dunkelheit zu öffnen, nicht, um in der Dunkelheit zu verweilen, sondern um das lunare Bewußtsein und seine heilenden Kräfte zu erwecken.