Aus:
Tierbefreiung Aktuell, Ausgabe 43, www.tierbefreiung.de
Wo immer ein großes Unglück geschieht, eine Naturkatastrophe wie Erdbeben, Wirbelsturm, Feuersbrunst, oder ein schwerer Verkehrsunfall mit vielen Toten, der Einsturz eines Hochhauses, eine Explosion, ein Attentat - immer sagen einige Augenzeugen spontan: “Es war wie im Krieg.“ Eine natürliche Assoziation, der niemand widerspricht, der niemand besserwisserisch entgegenhält, dass der Krieg andere Ursachen hat als ein Erdbeben, dass der Krieg sich in hundert Aspekten von einem Zugunglück unterscheidet. Denn was die Leute meinen, ist sofort klar: Sie vergleichen das Schrecklichste, was ihnen einfällt, mit dem, was sie erlebt haben. Sie wählen ein Bild, das in jedem die Bilder oder das eigene Erleben von Krieg hervorruft, um das Entsetzen zu vermitteln, das sie fühlen. Der Vergleich ist eine Grundform menschlicher Kommunikation, eine Möglichkeit der Vermittlung von Gefühlen, Eindrücken, Erlebnissen, für die ein bloßer Bericht zu schwach erscheint. Kein
Mensch, der Schweres im Krieg erlebt hat, wird sich empören oder
es als Beleidigung empfinden, wenn jemand, der seine Liebsten bei einem
Massenunglück verloren hat, der Tote und Verstümmelte um sich
gesehen, der die Schmerzens- und Todesschreie gehört hat, seine Gefühle,
sein Erleben, mit Kriegserfahrungen gleichsetzt. Keiner würde auf
die Idee kommen, dass damit die Schrecken des Krieges herabgemindert werden
könnten oder gar sollten. Im Gegenteil, das Heraufbeschwören
des Bildes “Krieg“ dient ihm dazu, sich in den anderen hineinzuversetzen.
Ist diese Assoziation mit Krieg so anders zu werten als die oft ebenso
naheliegenden Assoziationen mit einem anderen jedermann verständlichen
Menschheitshorror, den Massenverbrechen des Nationalsozialismus? Und warum
sollte in diesem Fall die Vergleichbarkeit mit Gründen bestritten
werden, die nicht in dem vergleichbaren Ergebnis liegen - dem Massenmord,
der Zufügung von Leiden und Schmerzen, der Ausgrenzung und Herabwürdigung
- sondern in der Motivation der Täter? Unsere Frage zielt darauf, warum die maßlosen Verbrechen, die Tieren angetan werden, nicht in einem Atem mit Verbrechen an Menschen genannt werden sollten, und insbesondere nicht mit dem Schrecklichsten, was uns als Kindern des 20. Jahrhunderts sofort in den Sinn kommt und den Namen Holocaust trägt? Warum muss das Entsetzen über die gegenwärtige Barbarei gegen Tiere und deren Duldung und Leugnung die Assoziation mit der vergangenen Barbarei, die unbestreitbar als solche erkannt wird, scheuen?
Wenn in irgendeinem Zusammenhang der Vergleich mit Untaten der Nazis gewählt wird, fließen allerdings gewöhnlich Aspekte ihrer Motivation mit ein, man fasst ihn also gleichzeitig (zeitlich) enger und (inhaltlich) tiefer als “Krieg“. In dieser Form aber ist der Bezug allgegenwärtig. Umgangssprachlich wird wohl täglich irgendwo jemand als “Nazischwein“ beschimpft, werden “Nazimethoden“ angeprangert, vom “KZ Stammheim“ war ungestraft die Rede, vom “atomaren Holocaust“ in Hiroshima, vom “ökologischen Holocaust“ in unseren Tagen. Nazi-, Hitler -, bzw. “Faschismus“-Analogien werden auch in der seriösen Presse und in der Politik gebraucht, etwa in Bezug auf Milosevic, Saddam Hussein oder südamerikanische Juntas und ihre Opfer. Dabei ist nicht der Antisemitismus als Motiv gemeint - höchstens dann, wenn real auch heute wieder jüdische Menschen die Opfer sind - sondern er dient als Analogie, wenn menschenunwürdige Behandlung angeprangert werden soll, der ähnliche, zum Beispiel rassistische oder fremdenfeindliche, Einstellungen zugrunde liegen. Haben
solche Einstellungen große Zahlen von Morden und Menschenopfern
im Gefolge, was meist nur mithilfe staatlicher oder usurpierter Macht
möglich ist, wird die Mordmaschinerie des NS-Staats nahezu zwangsläufig
als Bezugsgröße assoziiert. Es ist gewiß zuzugeben, dass
Nazi-Vergleiche inflationär in Umlauf sind, dass sie oft für
allzu kleine Vorgänge benutzt werden, die an die Größenordnung
und den Horror des Nazitums als Ganzes nicht entfernt heranreichen. Die
Zeit dieses spezifischen Terrors bietet einen so riesigen Steinbruch,
dass zu Recht oder zu Unrecht, viele die ihnen geeigneten Steine daraus
brechen und das wohl noch auf unabsehbare Zeit tun werden. Doch so unproportional
manche Vergleiche menschlicher Unbill mit Naziverbrechen oft auch sein
mögen, so versteht man doch ihre Absicht, das jeweils angeprangerte
Unrecht in die Nähe des Schlimmstmöglichen zu setzen. Es widerspricht
der einfachsten Logik, dass der Vergleichende darauf abzielt, dieses Schlimmstmögliche
als nicht so schlimm bezeichnen zu wollen, da er doch genau das Gegenteil
ausdrückt. Nazivergleiche werden denn auch nicht der Opferseite verübelt,
sondern nur dann als sträflich empfunden, wenn sich jemand dieserart
mit den Tätern verglichen und seinen Ruf beschädigt sieht (oder
jemand in seinem Namen) - eben weil man ihn mit dem schlechthin Teuflischen
gleichsetzt.
Das deutsche Wort “Opfer“ unterscheidet nicht zwischen den zwei Bedeutungen, wie sie sich im Englischen und in den romanischen Sprachen deutlicher zeigen: sacrifice und victim. Wer immer den Begriff Holocaust als Synonym für den Massenmord an der jüdischen Bevölkerung Europas ins Spiel gebracht hat - in Deutschland ist er erst durch ein “spannendes“ amerikanisches Fernsehspiel in den 70er Jahren eingebürgert worden - hat nicht bedacht, dass dadurch der Akzent auf der Bedeutung “sacrifice“ liegt. Das griechische Wort Holocaust bedeutet gänzliche Verbrennung, “Ganzopfer“, ein religiöses Ritual, bei dem Brandopfer (von Tieren!) zur Ehre Gottes gebracht wurden. Das hat offensichtlich mit den Intentionen der Nazis wenig zu tun. Das Wort hat einen Bedeutungswandel erfahren, und wer heute von Holocaust spricht, meint die Opfer im Sinne von “victim“. Der Akzent liegt auf den unschuldigen Opfern von systematischem Massenmord, überwiegend eingeengt auf das Programm der Nazis zur Vernichtung der Juden, die aber selbst eher das Wort “Shoah“ benutzen. Denn bei Holocaust klingt mehr an, er umfasst auch nichtjüdische Opfer des Herrenmenschenwahns, besonders in den KZs, die Sinti und Roma, deren halbes Volk umgebracht wurde, und andere Volksgruppen, die zu “Untermenschen“ erklärt wurden, Homosexuelle, Behinderte, Geisteskranke. Holocaust ist eine Chiffre geworden. Ist es aber unmoralisch, mit diesem Schreckenswort Parallelen zu anderen systematischen Massenmorden in einem anderen historischen Umfeld zu ziehen? Das Wesen des Vergleichs beruht immer darauf, bei ähnlichen Dingen oder Vorgängen das Gemeinsame im Unterschiedlichen aufzuzeigen, und selbst wenn dabei ein Absolutes herauskommt (der Gepard ist das schnellste Landsäugetier, das Fest war das schönste, das ich je erlebt habe), so kommt man auch dazu nur, indem man eins gegen das andere hält. Ganz und gar Gleiches kann man nicht vergleichen.
Worin also besteht das Gemeinsame und das Unterschiedliche zwischen dem Holocaust und der heutigen Behandlung von Tieren, insbesondere von “Nutztieren“? Zuerst springen die phänomenologischen Ähnlichkeiten ins Auge. Wer sich nicht blind stellt, fühlt sich beim Anblick von langgestreckten, stacheldrahtbewehrten Baracken abseits bewohnter Siedlungen, von Hühnerbatterien, Rinderstallungen, Schweine- oder Putenmastbetrieben, Pelzfarmen, von schwer gesicherten Tierversuchsanstalten, von endlosen Reihen trostlos verzweifelter Affen wie bei COVANCE, unweigerlich an Konzentrationslager erinnert. Im englischsprachigen Raum gibt es für Massentierhaltung das offizielle Wort CAFO, Concentrated Animal Feeding Operation. Bei factory farms, Tierfabriken, Fließbandschlachtung, Akkordschlachtung zeigt sich eine weitere Parallele zu einem Charakteristikum der Menschen-KZs: die industrialisierte, rationalisierte, geschäftsmäßige Form der massenhaften Tötungen. Das “Vergasen“ ist die übliche Art der Tötung von Pelztieren und von Millionen männlicher Küken, die von den weiblichen “selektiert“ werden, da sie als “Arbeitskräfte“ (zum Eierlegen) nicht tauglich sind. Auf dem Gelände jeder größeren Tierversuchsanstalt ragt ein hoher Kamin in den Himmel, in dem die Ermordeten verbrannt werden, Rauch steigt auf. Die
Leichenberge sind selten sichtbar, werden der Öffentlichkeit zur
Schonung ihrer Nerven nicht zugemutet. Aber jede/r weiß, dass es
sie gibt, verdrängt es sofort, will es nicht wissen. Das
wirksamste Mittel aber, der Verdrängung zuzuarbeiten, ist die ideologische
Abwertung der Opfer.
Sprechen
wir von Zahlen. Die technischen und organisatorischen Errungenschaften
des 20.Jahrhunderts ermöglichten eine hohe Effizienz der Niedertracht,
eine Massierung und „Durchführung“ von Gräueln in
relativ kurzer Zeit. Immerhin waren und sind Menschen auch mit weniger
ausgereifter Technik schon zu eindrucksvollen Massakern fähig gewesen,
die an Quantität nicht hinter denen der Nazis zurückstehen.
Und sprechen wir noch von einer weiteren Parallele: Ein besonders erschütternder Aspekt der Nazibarbarei ist ihr Auftreten mitten in einer sich auf dem Höchststand der Zivilisation, der Aufklärung, der Humanität, der Bildung, der Kultur wähnenden Gesellschaft. Da glauben wir uns heute auch. Unabweisbar zeigt uns der Vergleich Vergleichbares: Konzentrationslager, industriellen, planvollen Massenmord, vorangegangene Deklassierung und Verachtung der Opfer, ihre Ausblendung aus dem Bewusstsein, ihre Rechtfertigung durch einen “höheren Zweck“, die Verschleierung und/oder Verdrängung der Grausamkeit, die Ungeheuerlichkeit der Zahlen. Dabei haben wir noch nicht einmal die Arten der Qualzufügung betrachtet. Das wollen wir uns hier auch ersparen. Wer auch nur fünf oder zehn Beschreibungen von Tierversuchen liest, fünf oder zehn Fotos oder Videos sieht, wer die Vorstellungskraft besitzt, sich in einen Affen mit angebohrtem Gehirn in einem stereotaktischen Stuhl hineinzuversetzen, in eine Katze mit zerschnittenem Auge, in eine zum stundenlangen Schwimmen gezwungene Maus, der man vorher die Hinterbeine gelähmt hat, in das von der Geburt bis zum Tod eingepferchte, wundgescheuerte Huhn, die lebenslang angebundene Kuh, in einer Gefängniszelle “so eng wie die Stehsärge von Oranienburg“, das im Metallkasten gefesselte Mutterschwein, dem man die Kinder raubt - nein, keine Vorstellungskraft reicht an die entfesselte Orgie der raffinierten Grausamkeit und uneingeschränkten Brutalität heran, die sich an Tieren austobt. Doch sogar im physischen Leiden und Sterben wahren wir eifersüchtig unsere dünkelhafte „Überlegenheit“.
Dass
Tiere physisch und psychisch leiden, wird heute von niemandem ernsthaft
bestritten.
Das entscheidende Moment aber, warum die Betonung des Zwecks so falsch und unsinnig ist, liegt darin, dass die Perspektive der Täterseite und nicht die der Opfer eingenommen wird. Irgendein “Zweck“ dient jedem mit “höheren Werten“ begründeten Massenmord als Rechtfertigung. Für die Opfer ist es völlig gleichgültig, warum sie vernichtet werden, ob das Interesse ihrer Mörder an ihrem Tod von deren Geschmacksnerven oder dem Rassenwahn in ihren Köpfen herrührt. Doch auch wenn wir die Ähnlichkeiten der Motivlage betrachten, entdecken wir Gemeinsames. Zu den konstitutiven Bestandteilen der Naziideologie gehört der Überlegenheitswahn über andere, über “Minderwertige“ nach eigener Definition der zur Herrschaft Gelangten, über “lebensunwertes Leben“. Dazu gehört das “Recht des Stärkeren“ als angebliches Naturgesetz, die propagierte Mitleidlosigkeit gegenüber den “Minderwertigen“ und Unterlegenen, die Anmaßung, “mit Recht“ den Wert fremden Lebens zu bestimmen, es auszulöschen oder grenzenlos auszubeuten. Die strukturelle Ähnlichkeit mit der allgemeinen Einstellung zu Tieren liegt auf der Hand. Sie hier zu erkennen und mit allen Folgen zu akzeptieren, erfordert allerdings eine gewaltige geistige und seelische Anstrengung, die von der Mehrheit nicht über Nacht zu erwarten ist. Kein Überlegenheitswahn ist so uralt und so tief verwurzelt wie der der ganzen Menschheit über die ganze Tierwelt. Seit Menschengedenken hat mensch die Tiere als das “ganz Andere“ und das weit unter ihm Stehende definiert und behandelt. Hunderte von Abgrenzungskriterien wurden von den Kulturen und Religionen betont oder erfunden, unter den Riesengebäuden der Selbstbespiegelung verschwanden die Gemeinsamkeiten bis zur Unsichtbarkeit. Erst seit Darwin begannen die selbsterrichteten Throne Risse zu bekommen, und die moderne Wissenschaft, insbesondere die Verhaltensforschung, entzog Stück für Stück die Fundamente, auf denen sie ruhen. Wer wissen will, weiß heute, dass Tiere, ganz ohne Zweifel mindestens Säugetiere und Vögel, sehr ähnliche, weitgehend identische, physiologische und diesen entsprechende sinnliche und emotionale Strukturen haben wie die Spezies Mensch, und dass auch ihr kognitiver Apparat prinzipiell den gleichen Mustern folgt. (Unfreiwilligerweise hat auch die Versuchstierforschung ihr Teil zu diesen Erkenntnissen beigetragen, es sei nur auf die Versuche auf dem Feld der Psychologie hingewiesen.) Die vor- und außerwissenschaftlichen Einsichten in die enge Verwandtschaft, die vergleichbare Erlebniswelt, sind bei Menschen, die sich nicht völlig von der Idolisierung der eigenen Art einnebeln ließen, auch immer schon da gewesen, hatten gegenüber dem herrschenden Menschenbild nur nie eine Chance. Erst die Denkrichtungen der auf Recht, Freiheit und Gleichheit gerichteten geistigen und politischen Konzepte entwickelten eine Eigendynamik, deren Logik nun auch die verachteten Tiere erreicht hat. Da als einziger Unterschied nur die geringere oder genauer gesagt: anders geartete, Intelligenz der Tiere übrig bleibt, stellt die Logik die Frage, ob geringere oder andersartige Intelligenz einen Grund, eine Legitimation, für Grausamkeit, Folter, Tötung, Versklavung, schwere Freiheitsberaubung oder sonst ein Verbrechen darstellt - und beantwortet sie mit Nein.
Bisher ist es eine sehr kleine, aber stetig wachsende Minderheit, die die Tiere von der unmenschlichen (!) totalitären Diktatur des Menschen befreien will. Eine ungeduldige unhomogene Bewegung, die nicht die Augen vor den Auswirkungen der Tyrannis verschließt und die sich die Perspektive der Opfer zu eigen macht. Für sie ist die Vergleichbarkeit des kreatürlichen Leids selbstverständlich und das Kardinalargument der Leugner “Tiere sind keine Menschen“ nichts als ein Schlagwort aus dem Arsenal der Herrenmenschenmentalität. Und eben hier stößt die bis heute herrschende Moral, die die Tiere ausklammert, mit dem neuen Denkansatz zusammen, der von der Tierrechts - und Tierbefreiungbewegung entwickelt wird und der eine artübergreifende Ethik fordert, die die Tiere einschließt. Es ist zu begreifen, dass eine derart umfassende Erweiterung des moralischen Anspruchs die “normal“ geprägten Zeitgenossen zunächst vor den Kopf stößt und es noch lange tun wird. Zumal keine Tyrannei jemals so viele Vorteile für die Privilegierten gebracht hat, nämlich irgendeinen für nahezu jedes Mitglied der menschlichen Rasse, und seien es nur Schuhe. Vor allem aber das schmeichelnde Bewusstsein, einer höheren Lebensform anzugehören. Die Abwehrmechanismen werden entsprechend in Stellung gebracht.
Zitat aus „Das Leben der Tiere“ von J.M. Coetzee, Literaturnobelpreisträger 2003 “Ich will es deutlich sagen: Rings um uns herrscht ein System der Entwürdigung, der Grausamkeit und des Tötens, das sich mit allem messen kann, wozu das Dritte Reich fähig war, ja es noch in den Schatten stellt, weil unser System kein Ende kennt, sich selbst regeneriert, unaufhörlich Kaninchen, Ratten, Geflügel, Vieh für das Messer des Schlächters auf die Welt bringt.“
“Ich entsinne mich, dass ich während eines Urlaubsaufenthalts von 1967 im russischen Wald bei Cavidovo zum ersten Mal eine solche 'Hühnerfabrik' gesehen und besucht habe und dass mein erster Eindruck - und er hat sich später nie geändert - der war: das muss für die armen Tiere ja schlimmer sein als was wir im Konzentrationslager die Jahre hindurch haben ausstehen müssen." Martin Niemöller, Kirchenpräsident, von 1938-1945 in verschiedenen KZs.
München
15.03.2004 |