Ina
Lautenschläger ist eine junge Tierärztin, die zusammen mit einer
Tierarzthelferin und Hufpflegerin eine Tierarztpraxis mit Tierpension
betreibt. Während ihrer Ausbildung musste sie an einem Pflichtpraktikum
im Schlachthof teilnehmen.
Frau Lautenschläger, eine Frage vorweg:
Warum sind Sie Tierärztin geworden?
Das hatte verschiedene Gründe, aber der Hauptgrund war, dass ich
eine Zeit lang in einer Familie mit Hunden gewohnt habe. Die Hunde hatten
alle eine Parasitenkrankheit. Einer nach dem anderen ist weggestorben.
Ich habe den einen Hund eine Woche lang alleine gepflegt, und es war schrecklich
zu sehen, wie er langsam dahin starb - an Nierenversagen.
Und in dieser Verzweiflung, in der ich war, habe ich gedacht: Ich möchte
nicht tatenlos zusehen, sondern selber helfen können. Dann habe ich
ein Praktikum in der Uni-Klinik gemacht und irgendwann stand die Entscheidung
fest, Tierärztin zu werden.
Sie haben während Ihrer Ausbildung ein Praktikum im Schlachthof absolviert.
Muss jeder in den Schlachthof, wenn er Tierarzt werden will?
Es ist leider eine Pflicht, man kommt nicht drum herum.
Viele Studenten haben alle möglichen rechtlichen Schritte probiert,
und ich kenne etliche Leute,
die Tierarzt werden wollten und nur deshalb nicht studiert haben.
Wie waren Ihre ersten Eindrücke auf dem Schlachthof?
Das Praktikum begann morgens um 4 Uhr. Je näher ich dem Schlachthof
kam, desto intensiver wurde das Schreien der Tiere und der Geruch. Ich
dachte: Wie soll ich das aushalten?
Noch heute sehe ich die Bilder: Die Maschinerie setzt sich in Gang, das
Band fängt an zu laufen. Ich höre das Brüllen eines Rindes,
einen Schuss und dann den dumpfen Aufprall eines Körpers auf dem
Fliesenboden.
Jetzt kommt der erste Körper um die Ecke, an den Beinen aufgespießt,
die Muskeln zucken noch.
Mir wird schwindlig von dem ekelerregenden Geruch von frischem Blut und
Darminhalt, dem ersichtlichen Leben sogar im zerfetzten Körper.
Die Schlächter unterhalten sich derweil und machen ihre Witze.
Einer erzählte von einer Kuh, die es geschafft hatte, sich loszureißen
und die 2 Meter hohe Mauer zu überspringen!
Die Kuh ist um ihr Leben gerannt. Aber all ihre Anstrengung war umsonst:
Nach einigen Stunden hatten sie sie wieder eingefangen und tatsächlich
geschlachtet.
Spüren die Tiere, dass es in den Schlachthof geht? Wehren sie sich?
Ja. Die Tiere werden vom Viehhändler im Schlachthof abgeladen.
Der meist übervolle LKW wird geöffnet und dann sollen die Rinder
die Rampe hinunter laufen.
Das wollen sie aber nicht. Die Tiere haben Angst vor der Rampe.
Dann werden sie geprügelt.
Manche Viehhändler achten darauf, nicht dort hinzuschlagen, wo man
einen guten Braten eventuell verderben könnte.
Sie schlagen in die Augen oder benutzen spezielle Geräte, um die
Tiere mit Stromstößen dazu zu bringen, die Rampe hinunter in
ihren Tod zu gehen.
Manche versuchen seitlich von der Rampe zu springen. Ein Rind bricht sich
dabei das Bein.
Das ist dem Viehtreiber egal, er flucht, da er jetzt noch mehr Arbeit
hat, um diese Kuh wieder einzufangen.
Einer anderen Kuh treibt er den Viehtreiber in die Scheide, das verstärkt
den Stromstoß um ein Vielfaches - der Kuh fährt es durch den
ganzen Körper. Sie springt mit einem Satz vom LKW und rutscht auf
dem kotverschmierten Boden aus.
Sie bleibt erst einmal in Grätschstellung liegen. Dann zieht sie
sich mehr kriechend als laufend auf die Seite.
Einige Kühe brüllen - ihre Euter sind prall voll, sie hätten
schon längst gemolken werden müssen.
Die Schlachthoftierärztin kommt, um die Lebenduntersuchung durchzuführen
- ob das Fleisch dieser "Großvieh-Einheiten" für
den menschlichen Genuss tauglich ist.
Sie überfliegt mit ihrem Blick die brüllende und nach einem
Ausgang suchende Herde, nickt und verschwindet wieder.
Hat sie jemals etwas vom Tierschutzgesetz gehört, frage ich mich.
Eine Kuh, die ins Schlachthaus kam, war in der Geburt.
Es gab Geburtsschwierigkeiten und der Tierarzt meinte, ein Kaiserschnitt
würde sich bei dieser Kuh nicht lohnen, weil sie bei der nächsten
Trächtigkeit auch Probleme haben würde. Also war sie für
den Zuchtbetrieb nicht lohnend und wurde in den Schlachthof gebracht.
"Kaiserschnitt" und Schlachtung wurden "zusammengelegt"
um Kosten zu sparen.
Wie erlebten Sie das eigentliche Schlachten?
Ich habe zugesehen, wie die Tiere mit dem Bolzenschuss "betäubt"
werden.
Ich sah, wie sie reingetrieben werden, in einen engen Gang.
Die Rinder springen aufeinander, weil die ersten nicht vorwärts wollen
und von hinten wird getrieben.
Die Tiere haben absolute Panik.
Wegen dem Schub von hinten muss das vorderste Rind irgendwann im Bolzenstand
ankommen. Da ist es noch quicklebendig. Und plötzlich wird der Stab
an den Kopf gesetzt, es macht einen Knall, man sieht, wie es kurz durch
den ganzen Körper zuckt und das Tier sackt zusammen.
In der Halle hängen die zuckenden Körper.
Der Kopf ist nicht mehr dran. Das Blut und der Körper sind noch warm.
Eine Kuh hängt mit dem Sprunggelenk an zwei riesigen Haken. Der Körper
zuckt noch.
Ein drehendes Messer sägt der Kuh die Füße ab. Eine Walze
fährt am Körper entlang und zieht der Kuh die Haut vom Rücken
herunter.
Ein Schlachthofarbeiter schneidet mit dem Messer den After aus und schlitzt
mit einem Zug den Bauch auf.
Die ganzen Innereien fallen mit einem Ruck vor und werden mit einigen
Messerschnitten aus dem Körper herausgerissen. Die zwei Körperhälften
werden auseinandergezogen.
Eine Säge fährt durch die Wirbelsäule und teilt den vor
einigen Minuten noch atmenden Körper in der Mitte durch.
An einem anderen Band hängen die Köpfe der Rinder. Im Abstand
von zwei Metern kommt ein Tier nach dem anderen. Ihre Augen gucken noch
starr erschrocken. Manche Zunge zuckt und Heu hängt an den Zähnen.
Was war die Aufgabe der Tierarztpraktikanten?
Wir Tierarzt-Studenten mussten immer mit am Band stehen und die Kontrollschnitte
auf Parasiten oder Erkrankungen machen, Lymphknoten anschneiden usw. Der
Fleischbeschauer zeigt uns Praktikanten, wie wir die Schnitte zu setzen
haben: Man muss an der Zunge ziehen und rechts und links tief hineinschneiden.
Dabei kommt einem die Zunge wie eine Fratze entgegen. Danach die Backenschnitte
und die Zunge.
Das Blut und andere Körpersäfte spritzen, tropfen und laufen
uns an den Armen entlang.
Bloß nicht nachdenken, schießt es mir durch den Kopf, - schnell
weitermachen, es kommt schon der nächste Kopf.
Bald sehen wir aus wie alle, die dort arbeiten: blutverschmiert.
Bei den Schnitten zucken die Muskeln, da die Nervenversorgung noch funktioniert.
Die einzelnen Körperteile sind noch nicht richtig tot.
Wie sind Sie und Ihre Kommilitonen damit fertig geworden?
In den Nächten haben viele von uns mit Alpträumen gekämpft,
aber schlimmer als die Realität waren sie nicht.
Wenn Menschen zu so etwas fähig sind und dabei ihre Gefühle
kaltstellen - zu was sind sie dann noch fähig?
Es war, als hätte man sich mitten in einen Horrortrip gestellt.
Essen
Sie Fleisch?
Nein.
Was war der Grund für Sie aufzuhören Fleisch zu essen?
In dem Moment, in dem man mehr mit Tieren zu tun hat, kommt irgendwann
früher oder später die Frage: Kann ich noch weiter Fleisch essen?
- Es gibt natürlich Leute, die fragen sich das nie.
Doch ich erlebte es so: Da pflegt man Tiere gesund und fragt sich, soll
man die wieder umbringen um sie zu essen?
Ich merkte, wie sehr man daran gewöhnt ist, dass Fleischessen normal
ist, wie wenig Gedanken man sich macht. Ich war richtig erschrocken darüber.
Mit der Zeit ging es mir so: Jedes Mal wenn ich Fleisch aß, hatte
ich plötzlich das Bild des Tieres vor mir. Mir wurde klar, dass dieses
Fleisch eigentlich ein Rind ist: ein Lebewesen mit schönen Augen.
Dann ist mir oft auch schlecht geworden. Und den letzten Rest hat mir
wirklich das Praktikum im Schlachthof gegeben.
Jetzt könnte man vielleicht denken:
Der Schlachthof ist eine Erlösung für die Tiere.
Sie hatten doch ihr ganzes Leben lang nur Leid in der Massentierhaltung.
Das ist wirklich das Problem falsch angegangen!
Würden die Menschen nicht nach Fleisch gieren, gäbe es keine
Masentierhaltung und kein Tier müßte von der Qual durch die
Menschen "erlöst" werden.
Es ist schlichtweg kriminell, wie wir die Tiere halten.
Wir sollten uns als Menschen schämen, was wir Tieren antun! Jeder,
der Tiere hat, weiß, dass Tiere einen Charakter haben, dass Tiere
Gefühle haben, dass sie genauso wie die Menschen Schmerz, Freude
und Leid empfinden können.
Zu sagen: "Naja, die Schlächter erlösen die Tiere schließlich"
ist wie wenn man sagt:
"Jetzt knallen wir mal einen Sklaven ab, denn er hat es schließlich
nicht schön im Leben."
Glauben Sie, dass Tiere eine Seele haben?
Ja. Wer Tiere wirklich kennen lernt, wer mit Tieren wirklich zusammen
ist, der merkt,dass auch jedes Huhn einen eigenen Charakter hat, eine
Art sich mitzuteilen.
In England haben sie sogar in der Uni Untersuchungen gemacht, ob Kühe
Gefühle haben oder nicht und haben ihre Lautäußerungen
pro Stunde aufgezeichnet - und sie haben tatsächlich gemerkt, dass
sie differenzierte Gefühlsäußerungen zeigen. Und dafür
haben sie zwei Jahre lang eine Doktorarbeit gemacht.
Ich glaube, jeder Mensch, der ein bisschen Gefühl hat, merkt, dass
Tiere Individuen sind und eine Seele haben.
Jedes Tier äußert sich auf seine Art, teilt sich mit, ist sehr
feinfühlig und kann sehr fein kommunizieren.
Ich bin jeden Tag wieder fasziniert, was alles drin steckt in einem Tier,
was es auf seine ganz eigene Art ausdrückt..
|