--------------------------Dr. Dorit Feddersen-Petersen   
    

Hunde sind hochentwickelte Tiere mit einem komplexen Sozialleben, einer Interessengemeinschaft überwiegend auf Gegenseitigkeit, wo eine Ordnung durch differenzierte Informationsvermittlung aufrechterhalten wird. Sie sind hochsozial - wie wir, wobei dieser Terminus ohne positive Bewertung zu verstehen ist und für »sehr gesellig« steht. So gesehen gibt es Ähnlichkeiten im menschlichen und wölfischen Sozialsystem und es ist sicher kein Zufall, daß gerade Wölfe domestiziert wurden. Hunde sind seit ca. 14000 Jahren Weggefährten des Menschen - Haustiere, deren Verhalten sich in Anlehnung an das Zusammenleben mit dem Menschen ausgeprägt veränderte. Menschen wurden wichtige Kommunikationspartner, beeinflussen die Qualität sensibler Phasen, sind unverzichtbarer Bestandteil jener Hundeumwelt, die eine störungsfreie Entwicklung gewährleistet.
Dieser Fakt wird weit zu wenig geachtet, seine Konsequenzen oft nicht hinreichend bedacht.

Unter den Haustieren sind es insbesondere Hunde, die sich weit in das Leben Ihrer Besitzer zu integrieren vermögen und von denen ebenso einbezogen werden. Sie sind Sozialkumpan und ihre Bindung an Menschen gepaart mit Verhaltensweisen, die sich ggf. durchaus gegen eigene Artgenossen richtet, machen sie zum anpassungsfähigen Partner, nicht selten zum Menschenersatz: der Umgang mit Hunden wird in starkem Maße von Gefühlen bestimmt. Wohl kaum ein anderes Haustier wird von uns so emotionsüberladen, so unsachlich und, weit entfernt von biologischen Zusammenhängen, so anthropomorph eingeschätzt wie der Hund, was durchaus tierschutzrelevant werden kann. Andererseits überrascht die Versachlichung im Umgang mit Hunden, die Prestigeobjekte, Sportobjekte und Waffenersatz wurden - und mit denen viel Geld verdient wird. Massenzuchten sind in der Hundezucht, -aufzucht und -haltung ein großes Tierschutzproblem. Wer ein paar Dutzend Hunde hält, kann sich um deren Sozialisierung, die unbedingt notwendig ist für eine störungsfreie Hundeentwicklung, nicht angemessen kümmern, auch dem § 2 des Tierschutzgesetzes, der sog. Tierhalternorm, kann nicht Genüge getan werden. Oder ist die »semi-natürliche« Haltung von Hunden in großen Rudeln, auch mitunter als »Robusthaltung« gekennzeichnet, vielleicht gar tiergerechter, da »freier und wolfsähnlicher«?

Nach § 2 TschG muß derjenige, der ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat, das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen. Er darf die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so einschränken, daß im Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden.

Dabei ist der Begriff »artgemäß« so zu verstehen, daß die domestikationsbedingten und rassespezifischen Unterschiede bei Haustieren zu berücksichtigen sind (besser: haustiergerecht oder rassegerecht bzw. tier-gerecht, wobei hier der Bezug das Individuum in einem bestimmten Umweltausschnitt ist).

Um die Bedürfnisse eines Haustieres zu kennen, sind diejenigen seiner Stammart, die unter völlig anderen ökologischen Bedingungen lebt und an diese adaptiert ist, kein Maßstab. Sie sind wichtig, um Haustierverhalten zu verstehen und funktionell einzuordnen, indes kann der Wolf kein Vorbild für »artgerechtes« Hundeverhalten sein. Domestikationsbedingte Verhaltensänderungen sind genetische Änderungen, die Hunde in ihre jetzige Abhängigkeit von menschlicher Fürsorge gebracht haben. Haushunde sind zum Rudelleben, das die Fähigkeit zur ausgewogenen Kooperation (Zusammenarbeit) und Kompetition (Wettbewerb um begrenzte Ressourcen) mit ein und demselben Partner abverlangt, nur bedingt fähig oder ganz unfähig geworden. So bleibt zu diskutieren, ob und wenn ja, unter welchen Bedingungen die Haltung eines großen Hunderudels mit wenig Menschenkontakten mit Bezugspersonen, überhaupt tierschutzkonform sein kann.

 


Einige Gesetzmäßigkeiten zum Sozialverhalten von Wölfen und Haushunden

Zum auffälligsten Verhalten von Wälfen und Hunden gehört zweifelsohne das Droh- und Kampfverhalten, die Kompetition (Streit), die zusammen mit der Kooperation, dem Zusammenleben der Tiere, Voraussetzung für die Etablierung wie Aufrechterhaltung einer sozialen Hierarchie ist. Früher wurde der Wolf als typisches Beispiel dafür beschrieben, daß Tiere mit besonders gefährlichen Waffen über besonders wirksame Hemmmechanismen zur Verhinderung ernster Verletzungen verfügen. Konrad Lorenz mißdeutete das von Fischel gezeichnete Halsdarbieten eines Hundes als Demutsgeste und schrieb ihm beißhemmende Wirkung zu, die den Abbruch des Kampfes bedingt und zur Sicherung des Arterhalts beiträgt. Dies ist sicherlich falsch. Halsdarbieten als Unterwerfungsgeste gibt es nicht bei Hunden, wohl aber die »Aktive« und »Passive Demut« (Schenkel, 1967), die durch Lecken der Mundwinkel bzw. Einnehmen der Rückenlage den Aggressor beschwichtigt. Das Halsdarbieten entsteht, wenn der überlegene Hund betont wegsieht, ist also ein Imponierausdruck..

Beschädigungskämpfe und auch Tötungen von Artgenossen bei Wölfen kommen regelmäßig vor. Dennoch handelt es sich um relativ seltene Ereignisse und die meisten Kämpfe bei Wölfen haben einen ritualisierten Charakter. Viel häufiger als durch kämpferisches Kräftemessen entscheiden Wölfe ihre Konflikte allein durch Kommunikation. Diese aggressive Kommunikation hat bei den meisten Haushunden abgenommen. Zusammenhänge mit reduziertem Ausdrucksverhalten aufgrund eines Exterieurs, welches Signalen jeglichen Ausdruckswert genommen hat, da sie schlicht weniger oder gar nicht mehr sichtbar sind (durch Bewollung, Faltenbildung, starke Belefzung u.a.) sowie Auswirkungen züchterischer Manipulation des Aggressionsverhaltens sind wohl ursächlich wirksam. Bei Hunden vom «Pitbull-Terrier-Typus« eskalieren Konflikte u .U. deshalb schneller, weil die Kooperationsbereitschaft Artgenossen gegenüber aufgrund früherer Selektion auf Angriff und Kampf herabgesetzt sein kann, was zudem eine Kommunikation bezüglich der aggressiven Motivation oder Intention unterdrückte, weshalb »überraschender zugebissen wird.

Unsere Untersuchungen an verschiedenen Rassen ergaben auch für die Bull-Rassen große Unterschiede innerhalb der untersuchten Würfe und belegten die große Bedeutung des sozialen wie unbelebten Umfeldes, somit der Aufzuchts- und Haltungsbedingungen für das Verhalten der Tiere in Konkurrenzsituationen.

Die Sozialstruktur der Wölfe und (in weit größerem Ausmaß diejenige der Hunde) weist eine erhebliche Variabilität auf: Wölfe leben allein oder zu zweit, zumeist in Gruppe von 5 - 8 Mitgliedern, mit mehr als 2 adulten Tieren. Ein Rudel kann bis 36 Tiere umfassen. Rudel stellen m.o.w. ausgedehnte Familienverbände dar - eine soziogenetische Einheit.
Die Kooperation bezieht sich auf die Aufzucht von Jungtieren durch heranwachsende oder bereits geschlechtsreife Jungtiere. Auch die Jagd auf größere Beutetiere erfordert eine Zusammenarbeit, die bei den Wölfen sehr differenziert und durch subtile Aufgabenverteilungen gekennzeichnet sein kann. In beiden Bereichen sind die Partner auch gleichzeitig. Konkurrenten, denn überwiegend zieht nur ein Weibchen erfolgreich Junge auf und um Nahrung wird gleichfalls konkurriert. Bei Nahrungsmangel und in der Fortpflanzungszeit kommt es zu einem Anstieg der Häufigkeit von Droh- u. Kampfverhalten. Dann wird asymmetrisches Verhalten zwischen jeweils zwei Tieren die Regel: Zwischen ihnen besteht eine Dominanz-Subdominanz-Beziehung. Alle Beziehungen der Tiere untereinander ergeben in Ihrer Gesamtheit eine Rangordnung. Ranghohe Tiere können in Situationen der Nahrungsknappheit zuerst und am meisten fressen und zumeist pflanzen sich nur ranghöchtstes Weibchen und Männchen fort. Rangniedere Rudeltiere werden von den Alpha-Tieren an der Fortpflanzung gehindert. Rangniedere Weibchen zeigen i.d.R. einen normalen Östruszyklus mit Ovulation, so daß die ausbleibende Reproduktion durch die Hinderung an der Kopulation erfolgt. Es gibt bei Wölfen unterschiedliche Strategien der Unterdrückung des Sexualverhaltens gleichgeschlechtlicher Rudelmitglieder für beide Geschlechter:

Männchen intervenieren in der Fortpflanzungszeit bei allen sexuellen Interaktionen zwischen Alpha-Weibchen und anderen Männchen und trennen diese; das Verhalten des Alpha-Weibchens dagegen hat eher den Charakter unprovozierter Feindseligkeit«. Das Alpha-Weibchen zeigt allen Weibchen gegenüber, sowohl in der Fortpflanzungszeit als auch davor und danach, dominantes Ausdrucksverhalten, das weitgehend von sexuellen Interaktionen unabhängig ist und «unterdrückt« ihre Konkurrentinnen so. Es wird jedoch bei beiden Geschlechtern meist rein ritualisiert gekämpft, selten beschädigend.

Gewinner und Sieger stehen von vornherein fest: die Alpha-Tiere setzen sich immer durch. Allerdings können Dominanzbeziehungen auch in Frage gestellt werden und bei Auseinandersetzungen um die höchste Rangposition, und damit um die Möglichkeit zur Fortpflanzung resultieren regelmäßig Beschädigungskämpfe.

Im Rahmen von Konkurrenz (auch im Zusammenhang mit Nahrungskonkurrenz) setzen Wölfe also Drohungen ein und sie kämpfen, gelegentlich auch ungehemmt und mit der Folge schwerwiegender (tödlicher) Verletzungen. Ähnliche Entwicklungen gibt es auch bei Hunden, die einen hohen sozialen Status innerhalb einer Gruppe, so der Familie, innehaben. Von etlichen Menschen wird diese gefährliche Problematik gar nicht oder viel zu spät registriert.

In jedem Konflikt stehen die Tiere dabei vor dem Problem, daß die zur Durchsetzung ihrer Interessen, ihre Opponenten sowohl als Kontrahenten als auch als Partner betrachten müssen. Natürlich ist nicht gemeint, daß Wölfe und Hunde über Kosten-Nutzen-Bilanzen reflektieren, vielmehr ist ihre Verhaltenssteuerung auf diese Ambivalenzen ausgerichtet. Erfahrungen haben für das Verhalten eines Tieres in einer Auseinandersetzung große Bedeutung. So müssen Welpen die Bedeutung der Signale, gerade die der aggressiven Kommunikation erst lernen.

Durch die Konsequenz der Mißachtung empfangener Drohsignale aber auch durch die auf eigene Beissen folgende Reaktion eines Geschwisters in Form von Zurückbeißen und Drohen wird wohl die Funktion von Drohgesichtern immer genauer gespeichert.

Wölfe (wie Haushunde in Gruppen) müssen also mit der Schwierigkeit leben, in Gruppen zu kooperieren. in denen jedes Tier gleichzeitig seinen Ressourcenzugang erreichen muß. Individuen, die auf ein kooperatives Zusammenleben mit den anderen Gruppenmitgliedern angewiesen sind, werden also immer wieder auch zu Konkurrenten. Diese Problematik besteht modifiziert und »entschärft« auch zwischen Hunden und Menschen, die ja unverzichtbarer Sozialpartner wurden.

 
Quelle: Dog News Nr. 1 Gesellschaft für artgemäße Hundehaltung November 2000
 
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