Die
Erntezeit, und die Feldarbeiter brachten das Korn ein. Die ersten welken
Blätter fielen von den Bäumen, und unten am Fluß saß
eine Entenmutter in ihrem Nest unter dem Schilfgras verborgen und brütete
ihre Eier aus. Eines nach dem anderen schlüpften die Entenjungen
aus ihren Eiern und watschelten unstet dem Ufer des Flusses entgegen,
wo sie in ihrem Element waren.
Nur ein Ei blieb still - wie ein Stein im Nest liegen und wollte nicht
aufbrechen. Es war größer als die anderen, und manchmal kam
es der Entenmutter vor, als hätte es auch einen ungewöhnlichen
Farbton. Eine ältliche Entendame flatterte quakend herbei, um der
Mutter zu ihrer frisch ausgeschlüpften Brut zu gratulieren, aber
dann sah sie das übergroße Ei im Nest liegen, schüttelte
den Kopf. daß die Wassertropfen flogen, und verkündete: "Man
hat dir ein Putenei untergeschmuggelt, meine Liebe, das sehe ich gleich.
Du darfst es auf keinen Fall ausbrüten. Puter können nämlich
nicht schwimmen. Und überhaupt"! Die alte Ente wußte,
wovon sie sprach, denn sie hatte selbst einmal versucht, einen Truthahn
auszubrüten. Aber die Entenmutter hatte schon so lange auf dem
dicken Ei gesessen, daß es ihr nicht gefiel, all ihre Mühe
solle vergeblich gewesen sein, also blieb sie weiter auf dem Ei sitzen
und brütete. Und siehe da - eines Tages erzitterte es, und ein
großes, unansehnliches Geschöpf pickte sich den Weg ins Leben
frei. Seine Haut war von rotblauen Blutgefäßen durchzogen,
seine Augen schimmerten rosarot, und seine Füße hatten eine
ungesunde bläßliche, grauviolette Farbe.
Die Entenmutter begutachtete ihr Küken mit vorgestrecktem Hals
und konnte sich nicht helfen: "Tatsächlich, es ist völlig
mißraten" murmelte sie voll Sorge und Scham. Aber dann hoppelte
das häßliche Küken ins Wasser und schwamm zielgerade
und mit entengleicher Sicherheit davon. Die Mutter war erleichtert.
"Also doch kein Truthahn", dachte sie. "Nein, ein Kind
von mir". Aber es sieht ungewöhnlich aus, das ist schon wahr.
Obwohl, "mit etwas gutem Willen könnte man beinahe sagen,
daß es irgendwie süß aussieht".
Stolz setzte die Mutter sich an die Spitze ihrer Brut und schwamm quer
über den Fluß, um der ganzen Flußgemeinde ihre Kükenschar
vorzuführen. Das ging so lange gut, bis ein kraftstrotzender junger
Entenmann über das Wasser geschnattert kam und das ungewöhnliche
Entlein laut kreischend in den Hals biß. "Was fällt
dir ein"? fuhr die Mutter dazwischen, aber der Kraftprotz biß
nur noch heftiger zu und schrie so laut, daß alle anderen Enten
der Gegend es hören mußten: "Schaut euch die Mißgeburt
an! Schaut, wie komisch und häßlich das Vieh ist, weg mit
ihm, es gehört nicht zu uns"!
Die anderen Entenfamilien der Gegend stimmten ihm quakend und kopfnickend
zu. Und so oft die Entenmutter ihr Junges in den folgenden Tagen gegen
die Angriffe und den Spott der Entengemeinde verteidigte, so oft sie
seine Vorzüge hervorhob, seine Größe und zukünftige
Stärke pries - es half alles nichts. Das häßliche Entlein
wurde wie ein Aussätziges behandelt und von allen Futterstellen
verjagt.
Sein Leben war so qualvoll, daß es mit der Zeit immer schwächer
und mutloser wurde und sich kaum noch gegen seine Feinde wehrte. Und
irgendwann brachte selbst die Mutter nicht mehr die Kraft auf, ihr Junges
ständig zu verteidigen. Und so rief sie eines Tages verzweifelt
aus: "Ich wünschte, du würdest einfach verschwinden".Als
es das hörte, ließ das häßliche Entlein den Kopf
hängen und machte sich auf den Weg in die Fremde. Die Enten hatten
ihm fast alle Federn ausgerupft; es konnte nicht fliegen, nur humpeln,
aber es schleppte sich von seinem Zuhause fort, bis es in eine flache
Seenlandschaft kam, wo es liegenblieb und seinen Durst mit ein paar
Tropfen Wasser stillte.
Zwei fesche junge Ganter flatterten über den See herbei und tönten:
"Na, Junge, wie wär's? Willst du mit uns kommen und den unverheirateten
Gänsemädchen drüben am anderen Ufer nachstellen? Hi,
hi, hi, häßlich, wie du bist". Die Ganter konnten den
Satz nicht beenden, denn plötzlich ertönte das Krachen von
Jagdgewehrschüssen, die beiden Ganter stürzten blutend zu
Boden. Das häßliche Entlein tauchte blitzschnell im Seewasser
unter, wo die Hunde und Jäger es nicht finden konnten.
Nachdem alles wieder still geworden war, watschelte das Entlein weiter
auf seiner Suche nach einem neuen Heim. Gegen Abend fand es sich vor
einer windschiefen Lehmhütte wieder, wo eine zerlumpte alte Frau
mit ihrer struppigen Katze und einem schielenden Huhn lebte. Die Katze
verdiente sich ihren Lebensunterhalt bei der Alten, indem sie Mäuse
und Ratten fing. Die Henne legte Eier und wurde deshalb in der Hütte
geduldet.
Die Alte freute sich, als sie das Entlein in ihren Hof watscheln sah,
denn sie dachte bei sich: "Wenn es Eier legt, bleibt es am Leben.
Wenn nicht, kann ich es über dem Feuer rösten und eine gute
Mahlzeit aus ihm herausholen". So bekam das Entlein einen Platz
in der Hütte zugewiesen, aber dem Huhn und der Katze mißfiel
das Entlein sehr, und bald verhöhnten sie es nur noch, und sie
sagten: Wozu soll einer gut sein, der weder Eier legt noch Ratten und
Mäuse oder sonst irgend etwas fängt? Seufzend gestand das
Entlein, daß es offenbar zu nichts anderem taugte, als zu gründeln
und unter dem freien Himmel über das Wasser zu segeln. Das konnte
weder die Katze noch das Huhn verstehen, denn beide haßten das
Wasser und verabscheuten es von Herzen, wenn sie naß wurden. Da
die Kritik der beiden aber kein Ende nehmen wollte, sah das Entlein
ein, daß es auch bei ihnen keinen Frieden finden würde, und
so machte es sich bald wieder auf den Weg, um woanders sein Glück
zu versuchen.
Ein paar Tagereisen entfernt fand es einen Teich, in dem es schwimmen
konnte, aber nun wurde der Wind schon eisiger, und der erste Frost lag
drohend in der Luft. Zum Himmel aufblickend, sah es einen Schwarm großer
Vögel gen Süden ziehen, und bei diesem Anblick blieb ihm das
Herz beinahe stehen. Die Vögel schienen ihm von unvergleichlicher
Schönheit zu sein, so königlich und anmutig wie kein Geschöpf,
das es je gesehen hatte. Das Entlein hörte den Ruf ihrer Stimmen,
es fühlte sich davon aufgerufen, ja, dieser seltsam aufrüttelnde
Klang ließ etwas in seinem Herzen aufgehen, doch im nächsten
Moment auch qualvoll zerspringen. Es antworte mit einem wilden Schrei,
wie es noch keinen in seinem kurzen Leben ausgestoßen hatte, und
der majestätische Schwarm zog über den See davon und entschwand
dem Blick des Entleins. Da tauchte es bis auf den Grund des Teiches
unter und hockte dort mit angehaltenem Atem, denn es wollte sich nie
wieder von der Stelle rühren. Der Frost kam und überzog den
Teich mit einer langsam härter werdenden Eisdecke. Das Entlein
wäre erfroren, wäre nicht der Bauer vorbeigekommen und hätte
das Eis mit einem Pickel aufgebrochen. Er schnappte sich das halbtote
Entlein, steckte es unter seine wärmende Jacke und trug es in die
gute Stube zum Auftauen. Die Bauernkinder freuten sich über den
neuen Spielgefährten, lachten über sein komisches Aussehen,
griffen nach ihm und wollten zupacken, aber es flatterte unter den Giebel
und stieß seinen Kopf so hart am Gebälk, daß der Staub
in die frisch gemachte Butter flog. Von dort aus flatterte es geradewegs
in den Milchtopf, und als es sich naß und benommen aus dem Topf
herausgekämpft hatte und die Kinder sich vor Lachen bogen, scheuchte
die Bauersfrau den Tolpatsch mit dem Besen vor die Tür und verwünschte
den Eindringling.Von Teich zu Teich, von Haus zu Haus flatterte das
Entlein den ganzen Winter lang, und es wäre gestorben, wenn sich
nicht jedesmal noch ein kleines, windiges Schlupfloch für die Nacht
gefunden hätte.
So ging es den ganzen Winter lang, und es kam dem Entlein wie eine Ewigkeit
vor, aber irgendwann begann der Schnee zu schmelzen, das Wasser in den
Seen und Teichen wurde wärmer, und das häßliche Entlein
putzte sein Gefieder im ersten Frühlingswind. Größer
und stark waren seine Schwingen inzwischen geworden. Sie trugen es jetzt
höher und weiter dennje. Einmal, bei einem solchen Flug in unbenannte
Fernen, sah es unter sich drei weiße Vögel auf einem blauen
See schwimmen. Sein Herz setzte aus, denn dies waren ganz unverkennbar
Angehörige der Gattung, die es im letzten Herbst bei ihrem Flug
gen Süden beobachtet hatte. Nie hatte das Entlein den Anblick vergessen
können.
Es nahm all seinen Mut zusammen und landete nicht weit von den großen
weißen Vögeln im Wasser.
Es fürchtete sich sehr, als die drei ihre Köpfe nach ihm umwandten
und auf den Neuling zukamen.
"Jetzt
ist mein Ende gekommen", dachte das häßliche Entlein.
"Sie werden mich wegbeißen und von sich stoßen, wie
alle anderen auch. Wie soll es anders sein?
Aber wenn ich schon getötet werden soll, dann lieber von ihnen
als von einem Jäger oder einer Hausfrau oder einem langen Winter"
Demütig senkte es den Kopf, um die ersten Hiebe zu empfangen, aber
im glasigen Seewasser spiegelte sich seine Gestalt und - siehe da -
es erkannte sich selbst nicht mehr wieder, denn es glich den schönen,
weißen Vögeln, die es nun umringt hatten, geradeso, wie ein
Spatz dem anderen gleicht.
Anstatt es wegzubeißen, neigten sich die anderen ihm zu und begannen,
sein Gefieder zu putzen, es zu begrüßen und als einen der
ihren willkommen zu heißen. Bald segelten alle vier gemeinsam
davon, zu den Nestern am Seeufer, wo zwölf Schwanenpaare ihre Jungen
ausbrüteten, unweit von den Enten. Die Dorfkinder sahen es zuerst.
Sie schwenkten die Arme, liefen aufgeregt hin und her und riefen immer
wieder, bis das ganze Dorf es wußte: "Oh, schaut doch, schaut,
ein Schwan! Ein neuer weißer Schwan ist zu uns gekommen".
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