Eine MondgeschichteMeine Körperin
Ich kleide mich für meine bisher beste Geburtstagsfeier meinen Fünfzigsten.
Da stehe ich nun, nackt, frisch geduscht, inspiziere meinen Kleiderschrank.
Ich dufte nach Rosenknospen und Lilien, meine Achseln sind deodorantgepflegt, mein Gesicht gewaschen und mit Rosensalbe eingecremt.
Aus den Augenwinkeln werfe ich einen Blick auf meinen nackten Körper im Spiegel. »Seht bloß nicht hin«, sendet mein Hirn einen vernünftigen Rat an meine Augen.
»Schau dir lieber wieder deine Kleider an. Zieh dir Unterwäsche an. Zieh dir wenigstens ein Hemd an, während du überlegst, was du anziehen sollst. Aber umsonst.
Die Psychose hat bereits eingesetzt.
Ich forme den Gedanken: »Du bist zu fett. Viel zu fett.« »Verglichen mit... der Statistik!« Irgendwo existiert da diese Durchschnittsfrau, dort, wo sich die Statistiken vermehren wie Karnickel und sie hat meine Größe und sie ist fünfzehn Kilo leichter als ich.
»Blödsinn!« fällt mir gerade noch ein. Blödsinn, wie kann man Frauen nach derart
willkürlichen Kriterien miteinander vergleichen? Das kann nur ein Mann gewesen sein, der Frauen gehaßt hat (weil er keine kriegen konnte), der sich diese Statistiken darüber, wie viel man wiegen sollte, aus Rache einfallen ließ.
Und wir Frauen haben ihm alle geglaubt, weil er vermutlich einen Doktortitel hatte und wir titelhörig sind. Für Frauen war es dermaßen schwierig, eine höhere Bildung zu erlangen, daß uns ein Titel immer noch als etwas Heiliges erscheint. Heutzutage haben alle professionellen Lügner einen Doktortitel.
Langsam bringe ich mich dazu, mich dem sauberen, rosigen Bild im Spiegel zu nähern.
Es ist beinahe ein physischer Schmerz, auch nur hinzuschauen. Es erfüllt mich mit Grauen. »Übergewicht«. Ich verfalle in strenge Urteile.
»Der Bauch hängt ... erhängt irgendwie wie ein Sack.« Noch schlimmere Beschreibungen gehen mir durch den Kopf. Ich ziehe meinen Bauch ein. Er hängt etwas weniger durch.
Ich drücke meinen Bauch mit meinen Händen noch mehr hinein. Besser.
Vielleicht sollte ich ein Mieder tragen, aber damit könnte ich nicht atmen.
Ich lasse meinen Bauch los, und wieder hängt er wie ein Sack. Übel.
Zu wem gehört dieser fünfzig Jahre alte Körper eigentlich? Ich muß ihm ins Angesicht schauen. Das ist mein Körper. Meine Realität. Das einzige, was mir je wirklich gehört hat. Ich erinnere mich, wie meine Körperin und ich zum erstenmal zusammenfanden.
Sie war schnell und schlank. Meine Mutter, die selbst nicht gerade dick war, sagte, ich sei nur Haut und Knochen, eine Bohnenstange. Damals haßte ich es, zu essen.
Mein Spiel war laufen, schnelle Bewegung, Heiterkeit, atemlose Tage.
Dieses Gefühl hielt an, bis meine Körperin Brüste wachsen ließ. Dann bildete sich auf dem Bauch eine schwache Schicht, eine Andeutung von Speck. Meine Schenkel, bisher meine wichtigste Unterstützung beim Springen und Laufen, füllten sich nun mehr aus, ließen keinen Platz mehr zwischen den oberen Beinpartien. Meine Mutter meinte, sich berührende Oberschenkel seien ein Merkmal von Schönheit. Damals liebte ich meine Körperin.
Von Statistiken und dem Voguemagazin hatte ich noch nichts gehört. Meine kleinen Brüste waren mein Stolz und meine Freunde.
Sogar die Freundinnen meiner Mutter bewunderten die Knospen meines Frauseins.
Sie alle sagten voraus, daß ich zu einer hübschen Frau heranwachsen würde.
Doch dann kam die Pubertät. Meine Körperin beschleunigte das Tempo. Sie begann zu bluten. Viel zu bluten. Ich mußte das Bett wochenlang wegen heftiger Blutungen hüten. Noch wußte meine Körperin nicht, wie sie richtig menstruieren sollte. Aber nach ein paar Jahren hatte sie es heraus. Sie menstruierte wie eine Uhr nach der Mondin; wir bluteten zu jeder Neumondin gemeinsam. Meine Körperin. Jetzt mußte ich noch näher herangehen und einen noch tiefergehenden Blick wagen. Diese Körperin hat eine große Narbe auf dem Bauch, wie eine Wunde aus der Schlacht. Die Narbe einer Hysterektomie. Sonst ist sie wirklich in guter Form.
Na und wenn schon, hat sie eben keinen flachen Bauch! Sie hat zwei Kinder gehabt.
Ich erinnere mich an den Schmerz und die Langeweile der Schwangerschaft, an die Schwangerschaftsstreifen, die ich mit Kokosnußöl behandelte. Das ängstliche Diäthalten nach jeder Geburt. Mein Kampf wider mein Fleisch hatte sogar schon in meinen Zwanzigern begonnen. Dieser Körper hatte Größe zweiundvierzig und immer den Wunsch nach Größe achtunddreizig. Was für ein Wahnsinn!
Nun betrachte ich meine Brüste. Ich lege sie in meine Hände, wie eine Schale, so wie es bei der Göttinnen Inanna auf ihren Darstellungen gesehen habe.
Tatsächlich, jetzt im Spiegel sehe ich ein bißchen wie Inanna aus die Himmelskönigin. Die Brüste sind immer noch jugendlich. Ich preise meine Klugheit, den BH in den sechziger Jahren weggeschmissen zu haben. Das hat mir meine Muskeln erhalten.
Doch hier steht sie nun mit fünfzig, meine liebe Körperin. Immer noch ist ihre Haut durchscheinend. Sie birgt gute Gene mit reicher Geschichte in sich. Es ist der Körper eine mitteleuropäischen Bäuerin, dafür geschaffen, sich zu bücken und Weizen zu sammeln, Kartoffeln aus der feuchten, reichen Erde zu klauben, mit der Freude, jeden Morgen im feuchten Gras zur Arbeit zu gehen, mit den Geheimnissen der Heidelbeerhage und Himbeerdickichte im Wald. Heutzutage benutze ich sie, um einen Computer zu bedienen, eine Maus mit der Hand herumzubewegen und mit zwei Fingern zu tippen.
Sie ist so geduldig, sie nimmt mit mir Vorlieb. Sie läßt mich sie einsperren, sie von Weizenfeldern fernhalten, von Feldern, wo die Tiere weiden, von Bergen und Flüssen. Sie tippt, weil meine Visionen nicht Greifbar sind. Sie kann sie nicht wie Nüsse sammeln oder wie Heidelbeeren. Sie muß Stellen auf Disketten markieren, ein Konzept, das weit über ihr Verständnis hinausgeht. Und trotzdem gehorcht sie mir.
Jetzt füllen sich meine Augen mit Tränen, wenn ich an sie denke. Wie grausam war ich und was habe ich nicht alles von meiner Körperin verlangt! Wie lieblos habe ich ihr heiliges Fleisch behandelt! Diese Errungenschaft von Jahrtausenden der Menschheit, diese wunderbare, lebende Bibliothek meines Volkes, diese Schönheit, dieses üppige Fleisch, diese liebende, warme Körperin. Alles, was ich je gekannt und gelebt habe, ist in ihrer Masse gespeichert. Die Umarmungen meiner Geliebten, der erste Kuß, der erste Sex und all die Male, die folgten meine Nerven erinnern sich an jeden Schauer.
Die Düfte der Speisen, die ich aß oder begehrte, wenn ungarische Natiolnalgerichte
gekocht wurden, der Geschmack von Mehlspeisen, für die ich schwärme und die ich mit Wohl fühlen in Zusammenhang bringe. Es ist wahr. Mein letztes finsteres, gegen sie gerichtetes Verbrechen. Ich kann mich gut daran erinnern. Der Haß gegen meinen Bauch hat seinen Höhepunkt erreicht. So intensiv war er, daß ich den ersten Schritt unternahm.
Ich ging zu einem Schönheitschirugen und erkundigte mich wegen einer Fettabsaugung.
Er umschloß meinen armen, beschämten Bauch mit seinen Händen und verkündete:
»Was sie brauchen, ist ein Bauch-Abnäher! Wir können sie wie sechzehn aussehen lassen!
Sehen sie sich mal Phyllis Diller, die Komödiantin, an!« wies er voll Stolz hin.
Warum habe ich mich je gegen sie gestellt? Wer hat mich sie ablehnen lassen?
Was bringt uns Frauen dazu, unsere Körperinnen so sehr zu hassen?
Wem dient dieser Haß überhaupt? Wer zieht Nutzen aus unserem Kampf gegen unser
eigenes Fleisch? Warum glauben wir uns nur dann zu lieben, wenn wir uns hassen?
Die Liste der Sünden gegen meine Körperin ist endlos.
Ich habe sie auf Diät gesetzt, eigentlich die meiste Zeit meines Lebens mußte ich »ein Auge auf mein Gewicht haben« wie auf einen Feind.
Mein Gewicht waren ihr Fleisch, ihre Venen, ihre Muskeln, ihr Blut, ihre Substanz.
Ich war darauf aus, sie zu verringern und das meinen persönlichen »Sieg« zu nennen.
»Wenn ich nur noch fünf Kilo abnehmen würde...«
Ein Traum, der sich nie erfüllte, weil meine Körperin es immer besser wußte.
Sie unterwarf sich meiner Verrücktheit niemals. Sie war meinem Spiel immer ein paar Schritte voraus.
Ich verfolgte sie sogar mit Flüssigkeitsdiäten. Wochenlang bekam sie nichts zu essen außer dieser giftig aussehenden gelben Flüssigkeit und sie warf die Kilos ab, aber ich konnte sie bei jedem Schluck von der Flüssigkeit fluchen hören, daß sie mit Zähnen und Klauen kämpfen würde, bis sie ihre Masse zurückhätte und etwas dazu, damit sie das nächste Mal, wenn ich sie angriffe, ein Polster hätte, auf das sie zurückgreifen konnte.
So oft war sie hungrig und so bedauernswert. Und ich versprach ihr, sie zu lieben, wenn sie nur »weniger» würde. Vor allem beim Bauch, ihrem Kraftzentrum. Wir sehnten uns beide nach Liebe, aber die würde auch nicht mehr, ob sie nun rank und schlank oder dick war.
Nach meiner Scheidung änderte sich mein Leben. Ich weinte und weinte wegen der verlorenen Jahre und lernte das zu schätzen, was vor mir lag.
Ich hatte die alten Signale vergessen, das Make-up, die gezupften Augenbrauen, mein Haar blond zu färben, die hohen Absätze, die meine Füße schwächten und meine Wirbelsäule kaputt machten.
Ich hatte Mieder, BHs, Strumpfhosen und synthetische Fasern aufgegeben.
Ich begann natürliche Materialien zu tragen, trug mein Haar, wie es von meiner Schöpferin entworfen worden war, kümmerte mich um meine Haut und ließ meine dunklen, starken Augenbrauen wachsen.
Einunddreißig war ich, als ich erstmals einen Blick dafür bekam, wie ich wirklich aussah,
meine ursprüngliche Gestalt und es bewegte mein Herz.
Zum erstenmal liebte ich mich.
Das war ganz ich. Ich schloß mich der feministischen Bewegung an und lernte etwas über meine Geschichte als Frau, erfuhr von anderen, die sogar noch schmerzlichere Ketten abzuschütteln hatten als ich. Ich lernte meine innere Frau zu nähren, mein spirituelles Selbst. Ich änderte meinen Namen. Ich gebar mich selbst.
Das war vor zwanzig Jahren. Diese Frau im Spiegel ist so gewollt.
Diese Frau ist die krönende Errungenschaft. Das ist die Frau, die eine ganze Menge Veränderungen durchlaufen ist und letztendlich ganz daraus hervorgegangen ist.
Wollen wir sie doch respektieren.
»Liebe Körperin, vergib mir!« Wieder betrachte ich sie im Spiegel. Sie wird zuversichtlicher, sie läßt ihren Bauch sogar noch weiter heraushängen, um mich zu testen.
Durch die Luft küsse ich ihren Bauch. »Mein Fleisch ist nicht mein Feind.
Die frauenverachtende Kultur ist es und die Männer und Frauen, die aus den Unsicherheiten der Frauen Kapital schlagen,« sage ich zu ihr.
»Und das sagt eine, die noch vor kurzem eine Fettabsaugung in Erwägung zog!« spottet sie.
Ich konnte meine liebe Körperin unter seinen Händen schrumpfen sehen. Ich dachte an Phyllis Diller, sah jedoch keinerlei Parallelen zu meiner Situation. Die Schauspielerin war ein Junkie der Schönheitschirugie. Ich hatte sie im Fernsehen gesehen und damit angegeben hören, wie man ihr das Kinn gebrochen und neu eingerichtet hatte, so daß sie nun im alter von sechsundsiebzig ein neues Kinn hat. Ich fragte mich, ob sie das wohl glücklicher machte. Ist ein neues Kinn der Lebenssinn oder gar ein Grund, sich selbst zu lieben?
»Wieviel?« fragte ich, weil der Haß in mir immer noch sehr stark war. Ich haßte es, als er zu meinem Bauch »schlapp« sagte, aber tief drinnen in mir wußte ich er hatte recht.
»Sechstausend Dollar,« sagte er, ohne mit der Wimper zu zucken.
Schon der Besuch seiner Sprechstunde kostete 145 Dollar.
Ich sah ihn an. Da saß er nun selbst mit einem eindeutigen »Schmerbauch«, der ihm über den Gürtel hing. Sein Bauch kam vom Bier und fetten Essen, nicht von einer Schwangerschaft.
Ich mußte etwas dazu sagen. »Und wann kriegen Sie Ihren 'Abnäher', Herr Doktor? Ihr Schmerbauch ist sogar noch größer als meiner!« Im Raum herrschte eisiges Schweigen. Seine Realität war erschüttert worden.
Ich befolgte die Spielregeln nicht. Ich sah ihn nicht als vollkommen an.
»Ich kriege keinen 'Abnäher'«, sagte er zornig. Sein Gesicht verfinsterte sich, der gutmütige Onkel Doktor war verschwunden. Er hätte viele Dinge sagen können.
Er hätte sagen können, daß Männer diese Operation nicht brauchen, weil sie ohnehin schon vollkommen sind. Aber die Wahrheit ist, daß Männer seit neuestem auch vom körperlichen Image unterdrückt werden; Männer leiden darunter, wenn sie nicht schlank, fesch, blond oder stark sind. »Liebe Körperin!«, fügte ich hinzu. »Es tut mir leid. Nie wieder werde ich es in Erwägung ziehen, dich aufzuschneiden. Ich verspreche es. Der Wahnsinn ist vorbei.«
»Er ist zyklisch. Er nimmt verschiedene Formen an, aber alle sechs Monate führst du wieder Krieg gegen dein Fleisch.« Sie kauft mir meinen Reformationsakt nicht ab.
»Liebe Körperin, ich werde sogar noch mehr tun, als nur mit meinen Attacken gegen dich aufzuhören. Ich werde dich wie den Tempel der Göttin behandeln und das bist du auch.«
»Was meinst du?«
»Von jetzt an werde ich deinen Bauch verherrlichen.«
»Und wie?«
»Ich werde juwelenbesetzte Gürtel tragen,
die dem Bauch schmeicheln und werde dich vorzeigen.«
»Das wirst du?« läßt sie sich erweichen.
»Ich werde deinen Bauch mit Stolz vorzeigen und Kleidung tragen, die ihn schmückt.«
Jetzt wird sie eifrig, die liebe Körperin. »Und heute abend?«
Wir beginnen mit einem türkischem Seidenpullover. Sie liebt diesen Pullover.
Ich mache mich schön.
Ich liebkose sie, während sie in ihre Unterwäsche und Seidengewänder schlüpft.
»Danke! Danke für dein Fleisch!«, sage ich.
»Keine Ursache!« sagt sie. »Du liebst mich wirklich, weißt du, du hast es bis jetzt nur nicht erkannt.« Sie spricht wie eine geduldige Geliebte. Sie wird mich lehren, sie zu schätzen.
Das Fett und alles andere. Oder besonders das Fett. Es ist noch so ein weiter Weg.
Alle Angriffe auf sie tun mir leid, es ist mir um die ganze vergeudete Energie leid, die wir darauf verschwendet haben, gegeneinander zu arbeiten statt miteinander.
Was, wenn alle Frauen der Welt beschließen würden, daß Fett schön ist?
»Schwabbelbäuche sind wünschenswert,« sagt sie.
Ich erinnere mich, daß alle meine Geliebten meinen Bauch geliebt haben, vor allem meine jetzige. Aber ich bin diejenige, die damit beginnen muß, mein eigenes Fleisch zu lieben.
In unsrer Kultur diskutiert man ständig über das Fett der Frauen und über Weiblichkeit.
Es ist ein Zustand des Makels, der korrigiert werden muß, für den man Geld ausgeben und an dem man arbeiten muß. Keine Frau wird als Frau geboren. Sie muß den männlichen Standards angepaßt werden. Schlankheit ähnelt dem männlichen Körper.
Vielleicht ist es so einfach. Das Patriarchat wird stürzen, wenn alle Frauen darin übereinstimmen, daß wir toll aussehen und uns auch so benehmen. Diese Verschwörung kann man jetzt schon unter den Frauen gären sehen, die wenn sie in Bussen und Zügen zur Arbeit fahren, ihre Stöckelschuhe in einer braunen Tasche tragen und erst in sie hineinschlüpfen, wenn sie ihren Arbeitsplatz betreten. Um fünf Uhr nachmittags schlüpfen sie wieder heraus. Wir wissen, daß diese Absätze nicht bequem, nicht gut für uns sind.
Die Erinnerung an das (chinesische) Einbinden der Füße haftet ihnen an.
Männer treffen sich nicht, um Ideen auszutauschen, wie sie weniger essen, an Masse verlieren und weniger Platz im Universum einnehmen könnten.
Männer kümmern sich um ihre Arbeit, Firmenangelegenheiten, Geld.
Was, wenn die Forderung, daß Frauen schlank sein müssen, nur dazu dient, daß sie Ihre Energien in Selbsthaß und innere Kämpfe binden? Was, wenn es so einfach ist Eine unbewußte Angst davor, daß Frauen ihre volle Energie, ihr Bauchchakra für ihre eigenen Zwecke gebrauchen könnten?
Stell dir das vor! Kein Groschen für eine Fettabsaugung! Kein Geld für Diätprogramme und seltsame Diätkost!
Auf allen Plakaten dicke, gesunde Menschen, die es sich gutgehen lassen. Es gibt auch ein paar dünne und mittlere Typen, aber dicke Leute kommen eindeutig in die »Vogue«, auf Plakatwände, in Magazine, ins Fernsehen.
Aber zuerst müssen wir an der Werbeindustrie Rache nehmen und durch den Wandel hindurch, während sich alles zum Besseren verändert.
Meine liebe Körperin ist ganz aufgeregt wegen meiner revolutionären Pläne.
»Es hat Jahrmillionen gebraucht, um Fettdepots zu entwickeln, weißt du?« sagt sie. »Millionen! Die Familien, deren Mamas Fett speichern konnten, überlebten.
Diejenigen, deren Mamas keine Fettzellen zum speichern der Energie besaßen, starben.
Nun sind die Erfolgreichen zahlreich. Was sollte daran nicht stimmen?«
Meine liebe Körperin schöpft Hoffnung. Sie schwingt ihre Hüften im Seidenpullover, sie wechselt die Gänge voll Vergnügen, sie bewegt sich, als ginge sie auf einen magischen Ball. Und das tut sie tatsächlich. Schon von der Straße aus kann ich hören, daß die Party voll im Gange ist. Stolz empfängt mich meine Geliebte. Sie weiß, daß sie eine großartige Party für mich inszeniert hat.
Ich halte sie in meinen Armen ihre Körperin nahe an meinem Bauch.
»Gut fühlst du dich an!« sagt sie. Als Antwort drückt sich meine liebe Körperin näher an ihre. »Ich habe ein paar Beschlüsse gefaßt«, bekenne ich. »Gut!» anerkennt sie.
Wie wär's mit einem Glas Champagner? Alle sind dir schon ein bißchen voraus.«
Ich schaue auf die riesige Geburstagstorte mit meinem Namen drauf in Sahne! und lecke mir die Lippen.
»Heute abend«, sage ich zu meiner lieben Körperin, »soll dir nichts verweigert werden.
Du sollst Liebe bekommen, Anerkennung und Torte.«
»Torte? Torte?« sie wiederholt es.
Monatelang habe ich ihr kein Stück Torte gegönnt.
»Wirklich?« »Wirklich. Torte. Etliche Stücke. Iß, bis du voll bist«, versprach ich.
Ich wünschte, ich könnte sie mehr lieben und meine eigenen und die Mängel anderer mit gutmütiger Toleranz hinnehmen, fett oder muskulös.
Solange wir unsere Energie im Kampf gegen das Essen und unser eigenes Fleisch verbrauchen, wird es nur wenig Aktivistinnen für Frauenrechte geben, nur wenige von uns werden in leitenden Positionen sein und noch weniger werden überhaupt fähig sein, das Glück zu akzeptieren.
Die liebe Körperin ist alles, was wir wirklich besitzen.
Es ist die liebe Körperin, die uns unser Leben fühlen läßt.
Laßt uns den Krieg gegen unser eigenes Frauenfleisch beenden!
Östrogene erhebt euch!
(»Körperin« wurde als Bezeichnung gewählt, weil sich damit das nahe Verhältnis der Autorin zu ihrem Körper gut beschreiben läßt und sie im Englischen auch von »ihr« erzählt, nicht von »ihm«.
Die Bezeichnung »Körper« dagegen drückt eine Distanz der Autorin zu ihrem Körper aus.)