Ich war noch sehr jung, erst neunzehn, als ich zum
ersten Mal Mutter wurde.
Es war kurz nach
der Ungarischen Revolution, und ich führte einen Privatkrieg gegen
die Russen, indem ich versuchte, ganz allein all die verlorenen ungarischen
Leben zu ersetzen. Die erste Geburt dauerte lange und war sehr schwer. Ich
fühlte mich dabei sehr allein gelassen. Nichts hatte mich auf die Veränderungen
in meinem Körper und meinem Leben vorbereitet. Ich war Studentin an
der Universität von Chicago dank eines internationalen Stipen-diums,
für das ich durchgängig sehr gute Noten erreichen mußte.
Schwangerschaft und Geburt raubten mir sämtliche Energien: zum Studieren
war ich viel zu müde. Nach dem zweiten Kind brach ich das Studium dankbar
ab. Zwei Kinder reichten mir völlig.
Ich
nannte meine Jungen nach meinen Lieblingshelden: Laszlo nach einem legendären
ungarischen König, der ma-gische Kräfte besaß und mit
seinem Zauberstab Wasser aus einem Felsen schlagen konnte. Gabor benannte
ich nach einem bekannten Komiker, dessen Bücher mich oft zum Lachen
gebracht hatten. Sie waren gute Söhne, nicht gerade umgänglich,
weil sie ständig stritten oder schrien, aber gute Kinder, ehrlich,
sanft und begabt.
Meiner Mutter zufolge waren beide von feurigem Temperament. Sie brachte
ihnen das Töpfern bei und stellte ihre ersten Werke zusammen mit
den eigenen aus. Sie formten gern Raketen oder kneteten mit ihren langen,
knochigen Fingern stundenlang Dinosaurier aus Ton. Nach der prähi-storischen
Phase bauten sie Modellflugzeuge, Tausende von Modellflugzeugen. Sie hingen
überall in den Zimmern von der Decke und bewegten sich anmutig in
der leichtesten Brise. Laszlo ließ diese Flugzeugphase nie hinter
sich: Er wurde Pilot. Gabor studierte die Sterne und fotografierte Planeten:
er wurde Wissenschaftler. Heute sind sie schon über dreißig.
Ist die Mutterschaft nicht ein Wunder?
Doch
eine mütterliche Reaktion beeinflußte meine Jungen als künftige
Männer stärker als alle anderen.
Natürlich lei-stete ich all die wunderbaren Sachen, die Mütter
so leisten. Ich brachte ihnen das Schwimmen im Meer bei, das Fahrradfahren,
und ich flog mit Laszlo in einem kleinen Flugzeug, damit er sich zum ersten
Mal über den Wolken um-schauen konnte. Aber am schwersten und wichtigsten
war, daß ich meinen Söhnen eine positive Haltung gegenüber
Frauen beibrachte.
Ich
bin nicht der Meinung, daß Jungen mit ihren Vätern über
Mädchen reden sollten. Ein Vater könnte ihnen eine sehr sexistische
Haltung mitgeben und einen ganz vernünf-tigen Jungen verderben. Ich
glaube, daß Mütter unendlich mehr über Jungen und Mädchen
wissen als Väter. Mütter bleiben auf dem laufenden bei Veränderungen,
und das ist sehr wichtig, denn Jungen werden mit heutigen Mädchen
zu tun haben, nicht mit denjenigen, die ihre Väter umworben haben.
Ich
erinnere mich an einen Vorfall an einem warmen Som-mernachmittag.
An solchen Tagen ging ich gern zum Strand und nahm nach dem Heimkommen
ein ausgedehntes Schaumbad, um die letzten Sandreste zwischen den Zehen
wegzuspülen. Ich genoß die Entspannung dabei. Die Jungen waren
damals sieben und acht Jahre alt; sie sahen fern, stritten miteinander
oder aßen - das war mir egal. Manchmal muß eine Mutter aufhören,
immer nur die Retterin zu spielen, und einmal lange in der Wanne liegen.
Und genau das tat ich gerade, als es recht höflich an der Badezimmertür
klopfte. Das allein war schon Anlaß für Mißtrauen, denn
die Jungen waren sonst nie so zurückhal-tend. »Herein!«
sagte ich. »Was ist los?«
Als Mutter hatte ich Röntgenaugen entwickelt. Wenn ich die Jungen
nur anblickte, erfuhr ich immer schon alles mögliche - was sie im
Schilde führten oder ob sie mich anlogen. Aber jetzt schien alles
in Ordnung. Sie wirkten scheu, doch der Grund konnte nicht meine Nacktheit
in der Wanne sein, denn sie hatten mich oft genug so gesehen. Wir lebten
schließlich in den Sechzigern.
Dann kicherten sie miteinander, und mir war klar, daß etwas los
war. »Okay«, sagte ich. »Kommt her und sagt mir, was
es gibt.« Sie setzen sich auf den Wannenrand, ließen ihre
knochigen kleinen Jungenbeine ins Wasser hängen und spritzten ein
bißchen herum. »Mama«, sagte Laszlo, der äl-tere,
dann. »Wir wollen dich etwas fragen.«
Die Jungen starrten auf mein Schaumbad und dann auf die eigenen Zehen.
»Wir wissen nicht genau, was es bedeutet, aber wir haben gehört,
daß Mädchen eine ... Klitoris ha-ben.« - »Nein,
das heißt Kliptomis«, verbesserte Gabor seinen älteren
Bruder. »Kliptomis? Nein - Kritomis.« Läszlo wirkte unsicher.
Sie machten sich offensichtlich Gedanken, daß sie nie eine Antwort
bekommen würden, wenn sie nicht das richtige Wort wußten.
Das war es also. Ich wette, daß ein paar Jungen in der Schule schmutzige
Witze gerissen hatten und das Wort darin vorkam. Beide Jungen waren sehr
verlegen, es auszusprechen. »Ach so. Und was wollt ihr über
die Klitoris wissen?« fragte ich. Laszlo warf Gabor einen siegreichen
Bick zu. Er hatte den Wettstreit um das richtige Wort gewonnen. Mutiger
fuhr er fort: »Mama, wo ist sie?«
Jetzt waren sie beide nicht länger verlegen und sahen mich offen,
auf eine Antwort wartend, an.
Sie waren es gewohnt, mich nach allem zu fragen. Ich hatte sie nie bestraft
oder gesagt, sie dürften nicht nach sexuellen Dingen fragen. Doch
jetzt schlug die Stunde der Wahrheit.
Würde ich mich verhalten, wie sich meiner Meinung nach eine gute
Wassermann-Mutter verhalten sollte, offen und ehrlich? Oder würde
ich den Kleinen eine Standpauke halten und ihnen verbieten, das Wort jemals
wieder zu erwähnen? Ich hörte förmlich in meiner Badewanne,
wie sie sich ihre Meinung bildeten, und dachte: »Wenn ich jetzt
zögere, glauben sie, es sei schmutzig. Wenn ich einfach nur darüber
rede, beantworte ich ihre Fragen nicht. « Dann holte ich tief Luft,
griff zwischen meine Beine und öffnete mit zwei Fingern die äußeren
Schamlippen, um die Klitoris freizulegen.
Mein Herz raste, und ich bekam kaum Luft. Leicht war die Sache nicht.
»Da!« sagte ich, tapfer meine Aufregung verbergend. »Hier
ist meine!«
Ich werde nie vergessen, wie die beiden kleinen Köpfe sich über
das Wasser beugten und ins Tor des Lebens starrten, das gleiche Tor, durch
das sie in diese Welt gelangt waren. Es dauerte Gott sei Dank nicht lange,
aber mir erschien es länger als alles, was ich je zuvor getan hatte.
Dabei versuchte ich, cool und gelassen zu bleiben. Dann fuhr mir der Gedanke
durch den Kopf: »Das tue ich für alle Mädchen, die jemals
in ihr Leben treten, die jetzt noch in den Windeln liegen, aber eines
Tages groß sind und sich mit meinen Söhnen treffen. Hoffentlich
wird mir eine eines Tages dafür danken!«
Dann war es vorbei.
Die mageren Körperchen entspannten sich, und dann sagte Laszlo: »Das
ist aber niedlich.« Gabor dachte eine Weile nach und meinte dann:
»Neato!« Das war damals sein Wort für »sehr gut«.
Ich atmete auf: zurück zur Normalität. Gott sei Dank! Das Thema
meiner Klitoris wurde nie wieder erwähnt. Die Jungen können
sich an diesen Vorfall nicht einmal erinnern. Damals waren sie in dem
Alter, in dem man jeden Tag etwas Neues lernt. Das übrige Wissen
über die Sexualität müssen sie sich selbst zusam-mengereimt
haben. Mein Mann steuerte vieles bei, was für ihre Männlichkeit
nützlich war.
Aber ich glaube, daß sie heute für Frauen gute Liebhaber sind,
weil sie an jenem Nachmittag zum ersten Mal die intimen Körperteile
einer Frau sahen und als »niedlich« empfanden.
|