Mondsicht


Von Grün zu Gold verwandeln sich alle
von der Kornmondin beschienenen Länder in der nördlichen Hemisphäre.
Sommerblumen blühen an den Straßenrändern und im Unterholz:
lilafarbene Astern und blaue Kornblumen; roter Mohn,
wie Blutstropfen im grünen Gras.
In den Obsthainen beginnen die Früchte vor Süße zu erröten,
und das Korn schießt empor, die Ähren prall vor Güte.
Lange verweilt das Tageslicht auf den Feldern und wenn die Vollmondin aufgeht,
glüht sie in sanftem Gold. Vollendung und Fülle erblickt sie,
sie sieht die Belohnung für all die Arbeit im Frühjahr und im Frühsommer.
Sie segnet die Erde mit Reife.

Die Göttin spricht
Kybele

Als schwarzer Meteorit kam ich zu dir, ein schimmernder, schwarzer Schmetterling aus Obsidian. Einen Augenblick nur verweilte ich auf deiner Stirn - du dachtest, der Wind hätte deine Brauen berührt.
Aber ich war es, die Göttin Kybele. Wenn ich bei meinem Volk verweile, bin ich die Schöpferin von Musik und Spielen, das süße Lager der Liebenden bin ich, ich bin die Ekstase des Universums.
Ich bin die Mutter des Attis, meines männlichen Selbst; in der Glut des Sommers vereinige ich mich mit ihm und empfange einen neuen Sohn für die Zukunft.
Viele Tage lang tanzen meine Priesterinnen auf meinen Festen, sie rasen von den Bergen zu Tale, halten meine Lebensfackel hoch und dann löschen sie die Flamme mit einem Kreischen im Ozean aus. Dann bin ich traurig, weil ich weiß, daß mein Attis wieder an seinen sich selbst zugefügten Wunden gestorben ist.

Jedes Jahr blutet er unter meinem Lebensbaum zu Tode.

Mein Schicksal ist das vieler Mütter, die ihre Kinder an den Krieg oder die Gewalt verloren haben.
Doch sind meine Kräfte magisch. Wenn ich seinen Namen dreimal rufe, so tönt meine Stimme bis in das Reich der Toten hinab. Seinen leblosen Körper habe ich unter meinem Lebensbaum begraben, wo er gestorben ist und aus seinem Hut sprießen die Veilchen.

Ich bin auch die trauernde Mutter, die rasende, verrückte Mutter, die Mutter, die niemals vergißt Die Pieta bin ich, ich halte den teuren Körper meines Sohnes im Schoß, hauche ihm wieder Leben ein, auf daß er im Frühling wiederauferstehe und in neuer Gestalt trinke und lache. All die Mütter bin ich, die Tränen vergossen und schlaflose Nächte verbracht haben, weil die Söhne, die wir geboren haben, zum Tod zurückgekehrt sind; und wieder und immer wieder müssen wir sie zurückfordern, auf daß sie durch das Lebenstor abermals zurückkehren.

Die Herrin der Ernte bin ich und weiß, daß das Korn geschnitten werden muß, damit es sich wieder im Wachstum erheben kann.

Und ach, wenn er das tut, wenn von überall sein süßes Lachen zurückschallt, wenn meine Augen sein makelloses Antlitz wieder erblicken, wenn er den Tänzen meiner Priester und Priesterinnen beiwohnt, dann ist das grüne Wunder, die Große Auferstehung, wieder vollbracht.

Bringt mir meine wilden Löwen der Nacht und ich, Kybele, werde in meinem Wagen Platz nehmen. Langsam, in einem königlichem Trott, streichen meine großen, heiligen Katzen um die Stadt, damit mein Volk mein Antlitz erblicken möge.
Meine Krone sind die vier Stadtmauern selbst. Ich schütze sie.
Die zunehmende Mondin auf meiner Stirn ist das Zeichen, daß ich die Mutter bin.

Mein Volk jubelt in Scharen und schwingt violette Seidenfahnen. Blütenblätter werden auf meinen Weg gestreut. Mein Wagen rollt wie die Mondin ganz majestätisch über den Himmel. Blickt ihr meine heiligen Eunuchen etwa scheel an, denkt ihr, sie seien unnütz, nur weil sie sich entmannt haben, um mir ähnlicher zu sein? Maßt euch kein Urteil an!

Denn viele Männer wollen mir dienen und in meiner Tradition ist es Männern gestattet, ihr Geschlecht zu wechseln, wenn es ihr Wunsch ist. Sie sind keine Mißgeburten, es sind meine heiligen Priester.
Erst in eurer Zeit ist es für Männer so ungewöhnlich geworden, ihre Männlichkeit aufgeben zu wollen, für den Wunsch, eine Frau zu sein. Die Löwenmutter bin ich.

Ich herrsche mit Gerechtigkeit und bedingungsloser Liebe. Ich bin es, die dich vom Tod zurückfordern und dich wieder in den Lebensfluß ziehen kann. Ich bin es, die denen, die verloren sind, eine zweite Chance gewähren kann.

Du verehrst mich, wenn du in den Armen deiner/s Geliebten liegst und orgasmische Gefühle deinen Körper erbeben lassen. Ich gab dir die Fähigkeit, ganz zu fühlen und ganz zu leben und mir in deiner Ekstase nahe zu sein.
Spiele mir Flöte, schmause meinen Hammelbraten, tanze in meinem ungestümen Reigen und in den Wiesen mach Liebe. Keines meiner Kinder wird je vom ewigen Tod verschlungen werden, denn der Schlüssel zur Wiedergeburt ist mein.

Rufe, so wie die Priester und Priesterinnen, die mir im alten Rom dienten, es verkündeten:

»Seid guten Mutes, Neophyten, denn AtKybeletis ist gerettet und so werden auch wir gerettet werden«.

Niemand wird in meiner Tradition verdammt Keine Spielart der Sexualität wird dir aufgezwungen oder wäre erforderlich. Inder Liebe sind alle meine Kinder gleich und sie alle sind gesegnet. Nimm an dem Festzug, der meinem silbernem Abbild folgt, teil, tragt, mich zu meinem neuen Ehrenplatz, bade mein Abbild in deinen Flüssen und Seen, verehre mich durch Veilchen, verbrenne mein Räucherwerk in reichlichen Rauchschwaden.

Bringe der Vollmondin die Ekstase deines offenen Herzens und wisse - die Lebensfreude ist sicher.
Die Lebensfreude bin ich. Lebensfreude ist der natürliche Zustand deines Herzens. Frohlockt!

Das Thema dieses Mondumlaufs ist Energie, also drücke deine, Kraft aus,
rette die Erde, rette dich selbst, verwandle die Erde in eine bessere Welt für alle.