Eine kleine Geschichte 
 
 
Der Einsiedler war in seinem Garten. Beschäftigt mit seinen Blumen. Da kam Puschka, der Gefängniswärter, eilig, verschwitzt und mit suchendem Blick vom Dorf herauf. Grußlos fragte er den Einsiedler, ob er Maschka gesehen habe. Darauf fragte ihn der Einsiedler: „Maschka? 
Wer ist das?“ — „Ein Verbrecher, der aus dem Gefängnis ausgebrochen ist.“ “Ah Ja, und was willst du von ihm?“   „Na, nun frag nicht so komisch.   Einsperren natürlich.“   „Warum?“   „Weil er ausgebrochen ist.“   „Ja, aber er ist doch nur ausgebrochen, weil du ihn eingesperrt hast. Hättest du ihn nicht eingesperrt, wäre er auch nicht ausgebrochen. Also sag mir: warum hast du ihn eingesperrt?“   „Weil er ein Ve­brecher ist!“   „Was hat er getan?“   „Er hat eine alte Frau ausgeraubt.“   „Und deshalb sperrt ihr ihn ein.“ „Natürlich!“ „Aber warum denn?“   „Nun Strafe muß sein. Wenn wir ihn laufen ließen, würde er sicher wieder jemanden ausrauben.“   „Sperrt ihr ihn denn ein ganzes Leben ein?“ „Nein, nur ein paar Jahre.“   „Und meinst du, daß, wenn er dann rauskommt, er niemanden mehr überfällt?“   „Der wird sich hüten, denn dann sperren wir ihn wieder ein!“   „Ihr macht ihm also Angst. Aber warum hat er wohl die alte Frau überfallen?“   „Weil er ein schlechter Mensch ist; ein verkommenes Subjekt, daß sich bei uns im Dorf nicht einfügen kann.“  Statt einer Entgegnung führte der Einsiedler den Gefängniswärter in sein Gewächshaus: „Schau hier habe ich Pflanzen, die anders sind. Sie sind schwächer, teilweise von Ungeziefer befallen, teilweise tragen sie keine Früchte.   Sie sind anders, fügen sich nicht ein. Ich stelle sie nicht in eine Ecke und überlasse sie sich selbst. Vielmehr pflege ich sie besonders, damit sie wieder zu den anderen passen. Manchmal geht es schnell. Manchmal dauert es lange, bis ich sie wieder zu den anderen stellen und mich an ihnen erfreuen kann. Würde ich sie in eine dunkle Ecke stellen und mich nicht besonders um sie kümmern, könnte ich mich nie mehr an ihnen erfreuen. Und auch die anderen Pflanzen freuen sich, daß ich mich um die Außenseiter kümmere. Denn das gibt ihnen die Sicherheit, in guter Obhut zu sein, sollten sie auch einmal zu Außenseitern werden.“  Nach diesen Worten des Einsiedlers schwieg Puschka lange, verabschiedete sich kurz mit einem Gruß und ging. Aber er wußte nicht, wohin er gehen sollte.  

Mit freundlicher Genehmigung des Verfassers 
Hans Maienhofer