HecateDie wilde Frau als uralte Zauberin 

Zsusanna Budapest
Magie hat nichts mit Glauben zu tun, es ist Erfahrungssache. 
Wir arbeiten mit Naturgesetzen. Wenn du nicht dass an glaubst, dass die Sonne aufgehen oder der Mond scheinen wird, so ändert das nichts daran, dass diese Gestirne dennoch genau das tun werden, wozu sie im Universum ausersehen sind, ganz gleich, was du glaubst. Es gibt viele Gründe, die jemanden dazu bewegen, sich für Magie zu interessieren, aber es scheint, dass Verliebtheit der Göttin noch immer die meisten Aspirantinnen zuführt. 
Ich glaube, dass tief in unserem Inneren eine Kreatur existiert, die ich die wilde Frau oder Urfrau (oder den wilden Mann oder Urmann) nenne. Es ist der uralte Teil unseres Gehirns, der unser gesamtes rassisches Gedächtnis enthält, der die Heilungsprozesse steuert; eine starke, widerstandsfähige Kreatur, gewiss, aber sie versteht keine Sprache. 
Sie versteht nur die Elemente: Feuer, Wasser und Erde. Sie steuert unser instinktives Verhalten. Unsere Sexualität wäre langweilig ohne sie, und sie verkörpert den Teil in uns, der in unserer modernen Gesellschaft im allgemeinen verleugnet wird. 
Um unsere wilde Frau zu beeindrucken, müssen wir ein paar Tricks anwenden, zum Beispiel kurze, unkomplizierte Reime singen, zu denen sie sich hin und her wiegen kann, und wir müssen einen hübschen kleinen Altar herrichten, über den sie sich freuen kann. 
Wir benutzen Kerzen und Weihrauch, um sie, die in unserem Inneren schlummert, zu faszinieren, und arbeiten mit Magie, die ihre Sprache, ihre Kommunikationsform darstellt. Diese süße und sanfte Riesin hält den Schlüssel zu unserem Leben in der Hand; sie ist der Körper, die Gesundheit, der Instinkt, die Sexualität, sie ist Kreativität und Liebe. 

Sie will, dass wir ihr Sicherheit geben. Sie will beachtet sein. Sie will angerufen werden. Andernfalls kann es sein, dass sie unser ganzes modernes Leben hindurch schläft und gar nichts tut. Sie ist die Urahnin, die Urfrau. Manchmal visualisiere ich sie sogar als eine große, fellbedeckte, plumpe Kreatur, meine innere wilde Frau. Ihr Gang ist schwerfällig. Sie ist linkisch. Sie heult den Mond an und summt, wenn sie glücklich ist. Sie mag Speisen und Küchendüfte, die Gesellschaft anderer Menschen und Familien oder Stammeszusammenkünfte. 

Wenn ich mich um sie kümmere und gut zu ihr bin, verschafft sie mir alles, was ich brauche, um mich körperlich und seelisch Wohlzufühlen. Wenn es dir gelingt, mit diesem uralten Teil in dir Kontakt aufzunehmen, bist du in Verbindung mit deinen magischen Kräften. 

Ich glaube, es ist ganz natürlich, die Kunst der Magie mit einem Vorgang wie dem Kochen zu vergleichen. Man benutzt ein Kochbuch und folgt den einzelnen Schritten. Es sind nicht die rituellen Gegenstände oder Werkzeuge, die die Magie wirksam werden lassen - es ist allein unser Gehirn. Der Intellekt hat mit diesem magischen Teil unseres Gehirns allerdings nichts zu tun. Die Imagination, die dunkle Nacht, der Vollmond, Plätze in der Wildnis, Wälder, Berge, Flüsse und Meere dies sind die Bereiche und Orte, an denen die Urfrau lebendig wird. Geistheilung funktioniert auf der gleichen Ebene. 

Du kreierst eine Situation, in der du der Priesterin Zugang zu diesem alten Teil deines Gehirns ermöglichst; Freunde bilden einen Kreis, entzünden ein großes Feuer und machen Lärm mit Rasseln und Trommeln. Dies alles öffnet dich für die Worte der Heilerin. Wenn die Energie dann sehr hoch ist, weiß eine erfahrene Priesterin genau, in welchem Moment sie dem bösen Geist (das heißt, der Krankheit) befehlen kann, den Körper zu verlassen. 

Unser Gehirn ist so mächtig, dass es Fieber senken kann, wenn man die Kranke dazu bringt, die Krankheit zurückzuweisen; sie kann aufstehen und herumlaufen, selbst wenn sie schon an der Schwelle des Todes stand. 

Die gleiche Wirkung tritt ein, wenn die Urfrau beschlossen hat zu sterben. Nehmen wir an, dieser Teil des Gehirns fühlt sich »verhext«. Die Urfrau hasst dieses Gefühl. Es kann dann geschehen, dass sie morgens nicht einmal aufstehen will. 

Dieser alte Teil unseres Gehirns ist naiv und sehr leicht zu übertölpeln, er kann nicht »gewieft« sein. Da hilft keine Art von Bewusstseinserweiterung. Dieser Bereich versteht keine Sprache. Er versteht nur die alten Regelungen, Rituale, Rhythmen. Feuer, Wasser, Sterne. Mit Hilfe dieser Elemente kann eine Heilung bewirkt werden. Worte und Psychologen sind hier bedeutungslos. 

Es ist wichtig, dass wir mit unserer inneren Urfrau in Verbindung bleiben. Wenn du ihre Freundin bist, ist sie weniger ängstlich, weniger leicht einzuschüchtern. Wenn du ihr ihre Rituale gibst, ist sie zufrieden und schenkt dir eine robuste Gesundheit, eine lustvolle Sexualität und Liebe zum Leben. Die Urfrau ist jedoch nicht der Teil von dir, der jeden Morgen aufsteht und zur Arbeit geht, um am Monatsende einen Gehaltsscheck zu bekommen. 

Diese Aufgaben übernimmt der neuere Teil unseres Gehirns, der Sprache und Ratio steuert. Die Wissenschaftler behaupten, dass wir nicht mehr als zehn Prozent unserer Gehirnkapazität nutzen; der Rest muss noch erschlossen und kultiviert werden. 

Das, was nicht benutzt wird, verkümmert - so ist es in der Natur. 
Für uns bedeutet ein Zauberritual das gleiche, was für den Anhänger einer anderen Religion heute ein Gebet bedeutet. Wenn man auf einem Berg einen Zauberspruch spricht, heißt das, man betet um etwas. Wir Anhängerinnen der Magie beten zu einer Göttin, die allem innewohnt, sie durchdringt alle Bereiche des Lebens innerhalb und außerhalb unserer selbst. Wir beten zu ihr nicht nur als »über« uns stehend, sondern auch zu ihr in uns. 
Wenn die patriarchalischen Religionen von der »Gnade« sprechen, die jenen zuteil wird, die beten, sprechen sie von den gleichen Phänomenen, von denen wir schon Tausende von Jahren vor ihnen sprachen. Erschließe dein Unterbewusstsein und fühle dich wohl.