Die Jungfrauen bei den Drachen

neu erzählt von Lucia Francia

Als es Herbst wurde, schaute der König sorgenvoll aus dem Fenster. 

Zum vollen Mond wurde das Jungfrauenopfer fällig, und es war kein junges - von einem Mann unberührtes - Mädchen mehr im Lande übrig, außer seiner Tochter. 

Das Jungfrauenopfer war ein düsteres Kapitel seiner Herrschaft. Kaum hatte er das Land erobert, die Königin zur Frau genommen und sein Regiment überall im Land errichtet, war diese alte Frau gekommen, um mit ihm zu sprechen. Er wollte sie fortschicken lassen, aber sie stand plötzlich mitten im Thronsaal. "Köpft sie!" rief er außer sich. Doch seine Männer waren von einem seltsam starren Grausen gepackt und konnten sich nicht rühren.

"Ich bin die Großmutter der Drachen, eine Ahnin deiner Frau, die du umgebracht hast", sagte die Alte. Er versuchte, die Gedanken an seine schöne Frau wegzuwischen, die vom Turm gesprungen war, um ihm nicht gehören zu müssen. 

"Wenn du nicht jedes Jahr ein junges, unschuldiges Mädchen zur Drachenhöhle im Drachenstein bringst, werden die Drachen kommen und dein Land im Feuer vernichten."

Weg war sie. Natürlich schenkte er der wirren Rede dieser alten Zauberin keinen Glauben. Er dachte  gar nicht daran, die Forderung zu erfüllen. Nicht, weil er mit den Mädchen Mitleid hatte, sondern, weil er, der König, sich nicht von einem alten Weib erpressen ließ. Man trank und sang und fiel unter die alten Eichentische. Der Herbst kam. Kein Mädchen wurde zur Drachenhöhle gebracht.

Aber als die Blätter gefallen waren und die Nacht des vollen Mondes kam, saß plötzlich um Mitternacht ein kleiner Drache auf des Königs Fensterbank.
 

 

"Wo ist die Jungfrau?" krächzte er und bei jedem Wort kam ein Feuerstoß aus seinem Maul, fraß sich durch das Zimmer, durch die Pelze des Königs bis zu seinen Barthaaren.
 

 

Er fuhr aus dem Schlaf hoch. Der Drach segelte vor seinem Fenster vorbei und entfernte sich. Im Zimmer des Königs sah es aus wie nach einer Schlacht. er raufte sich, was von seinen Haaren noch übriggeblieben war und mußte nun einsehen, daß es die Drachen gab und er mitsamt all seinen Soldaten machtlos gegen sie war. Er ließ also im Land ausrufen, daß eine Jungfrau unverzüglich zu ihm gebracht werde. Als keine freiwillig kam, schickte er Soldaten aus. 

Schließlich war eine gefunden, so sehr sie sich auch wehrte und weinte, es half ihr nichts. Sie mußte zur Drachenhöhle gehen.

Ein langer Trauerzug begleitete sie, hinter ihr die weinenden Eltern, die Freunde, dann Mitglieder des Königshauses und schließlich das Volk. Am Eingang der Höhle stand die Großmutter und nahm das Mädchen in Empfang. Dann verschwanden die beiden in der Höhle und wurden nicht mehr gesehen.

Jahr für Jahr ging das nun so. Wenn die Blätter gefallen waren und der Mond voll wurde, mußte eine Jungfrau zur Höhle gehen. Die Väter brachen in Panik aus, versteckten ihre Töchter oder schickten sie außer Landes. Seltsam war nur, daß die Mädchen sich immer weniger fürchteten. Von der Tochter des Schmieds erzählte man sich, daß sie in der Nacht zuvor geträumt hatte, alle Jungfrauen des Landes hätten sie im Drachenland erwartet und ein großes Fest wurde zu ihrem Empfang gegeben, bei dem die Großmutter der Drachen, die in Wirklichkeit eine alte Königin war, Sternblumen an alle verteilte.

"Das Schicksal ist gnädig mit ihr" raunten die Leute, 

"Sie ist nicht mehr ganz richtig im Kopf."

Während der König am Fenster grübelte, saß die Prinzessin in ihrem Zimmer  und schmückte sich. Sie hatte ihr schönstes Kleid angezogen, am Nachmittag hatte sie sich einen Kranz aus Wiesenblumen geflochten, den sie jetzt auf ihr schwarzes Haar setzte: "Wartet nur, meine Freundinnen. Jetzt komme ich auch zu euch. Mein Vater wollte mich zwar aus dem Land schmuggeln, aber ich habe ein solches Gezeter veranstaltet, daß er seine Pläne bald aufgab."

Plötzlich klopfte es an die Tür. ihre Zofe flüsterte: "Da ist ein Prinz, der möchte dich sprechen." Die Prinzessin öffnete die Tür. Ein junger Mann stand draußen. Er war sehr aufgeregt. "Prinzessin, ich werde dich retten und mit dem Drachen kämpfen". sagte er. Sie betrachtete ihn verwundert. "Ich will den Drachen töten und dich zur Braut nehmen" rief er, zog sein Schwert aus dem Leder und legte es ihr zu Füßen. Sie schob mit ihren Zehen das Schwert ein wenig beiseite. "Wir werden sehen", sagte sie. "Du kannst ja mit zur Drachenhöhle kommen, das Weitere wird sich wohl ergeben."

Der Prinz verneigte sich tief vor ihr und verschwand.

Bald war es Zeit zu gehen. Ein Diener hatte aber an der Tür der Prinzessin gelauscht und wußte nun von den Plänen des Prinzen. Da er selbst in die Prinzessin verliebt war, beschloß er, den Prinzen kämpfen zu lassen und selbst zum König zu gehen, wenn der Drache tot war, um sich die Belohnung zu holen. Er folgte heimlich dem Trauerzug, der von der Prinzessin mit ihrer Zofe angeführt wurde, gefolgt vom König, von Soldaten in Viererreihen, die blutrünstige Lieder sangen. Dahinter kam, wie immer, das Volk, das über die Schönheit und Heiterkeit der Prinzessin staunte.

 Als sie nun alle zur Drachenhöhle kamen, die silbrig im Licht des vollen Mondes wurde ein tränenreicher Abschied gefeiert. Die Sänger und Gaukler machten Lieder über das Ereignis und zogen gleich los, um die Neuigkeit zu verbreiten, daß nun auch die Prinzessin bei den Drachen weilte. Die Drachengroßmutter stand in einem dunklen Umhang plötzlich mitten in der Höhle, steckte die Arme nach der Prinzessin aus und mit lautem Klagen und Schreien entfernten sich alle Leute.

Nicht so der tapfere Prinz - aber auch der Diener nicht, der sich hinter einem Busch versteckte. Der Prinz zückte das Schwert und schrie "Zeig dich, du feiger Drache, daß ich dich niederwerfen kann!" Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, kam ein Drache aus der Höhle gekrochen, grüngelb, mit silbrigen Schuppen, auf dessen spitzen Rückenwirbeln einige Mädchen saßen und winkten. "Du bist kein schlechter Mensche", rollte und ächzte der Drache, bei jedem Wort loderten Feuer und Schwefel aus seinem Maul, und der Prinz mußte sich wegducken, um nicht versengt zu werden. "Warum willst du mit mir kämpfen?"

"Weil du jedes Jahr eine Jungfrau holst" sagte der Prinz tapfer. "Und weil du meine Prinzessin holen willst." Die Mädchen auf dem Rücken des Drachen fingen an zu kichern. Die Prinzessin aber stellte sich auf die Fußspitzen und küßte den Prinzen auf die Stirn. "Laß uns keine Zeit verlieren." sagte sie.

Er zog sein Schwert, hielt aber verblüfft inne, als er sah, daß sie mit Hilfe der Alten auf den Drachen kletterte, die Hand der Schmieds-Tochter ergriff und es sich auf einer Silberschuppe bequem machte.

Der Prinz zwinkerte mit den Augen, berappelte sich aber schnell und stieß sein Schwert mutig dem Drachen in die Seite. Dieser drehte nur leicht den Kopf und brummte: "Mach die Fliege", was er nicht zweimal sagen mußte, denn der Feuerstoß trug den Prinzen ins Gebüsch, zu dem hinterhältigen Diener, der ihn auffing und nun keinen Grund mehr sah, ihn zu töten. Denn der Drache verschwand mit der Prinzessin in die Höhle, ohne überhaupt seine volle Körperlänge zu zeigen.

"Ich bin verletzt", stöhnte der Prinz, und die beiden verhinderten Liebhaber wankten gemeinsam davon. Da die beiden keine Lust hatte, dem König unter die Augen zu treten, machten sie sich auf die Wanderschaft.

Die Prinzessin indessen durchquerte auf dem Rücken des Drachen, zitternd vor Aufregung an die Freundin geschmiegt, die dunkle Höhle, die sich bald weitete und zu einer Wiese hin öffnete. Große, runde Felsen waren auf der Wiese verstreut. Auf ihnen saßen die Jungfrauen, um die Prinzessin zu empfangen.

Da gab es ein großes Hallo, und die Jungfrauen sprangen herum, lachten und küßten sich. Dann ertönte ein schrilles Zirpen, alle nahmen das Geräusch auf und trillerten und pfiffen, zischten und jaulten, bis endlich zwischen den Felsen die Großmutter der Drachen stolz aufgerichtet in einem Kleid in der Farbe des Meeres hervortrat und in die Hände klatschte. Da spuckten die Drachen einen Ring aus Feuer, in dem alle Mädchen erst sanft dann immer wilder tanzten und sangen, und die Prinzessin wußte, daß sie jetzt eine Frau war, denn sie blutete wie alleanderen. Ein großer, silbriger Vollmond stand über der Wiese.

Die ganze Nacht ging das Fest, es gab rote Speisen und Getränke - Granatäpfel, rote Hirse-Kuchen, Beerensaft und Früchtewein. Die Drachen schnaubten Feuerwerke in die Luft, die Tiere des Waldes kamen hinzu und tanzten mit, aber langsam fiel eine Jungfrau nach der anderen in Schlaf. Als es ruhig wurde und auch die Drachen eingeschlafen waren, ging die Großmutter der Drachen weit hinter die Felsen zu einem großen schwarzen Kessel, unter dem ein lustiges Feuer brannte. In diesem Kessel kochte sie Bilder und Träume. Ein lieblicher Duft stieg auf nach Rosen, Jasmin, Rosmarin, Lavendel, Weihrauch, Vanille, Orange und Zimt, schwebte über die nacht-neblige Wiese dahin zum Meeresstrand, zog über Meer, und manche der Nebel gelangten durch die Drachenhöhle in die Welt der Menschen.

Manchmal wacht eine Frau in der Nacht unruhig auf und eine große Sehnsucht wird wach nach dem Land, in dem die Großmutter der Drachen Bilder zu Träumen kocht.

Meine Geschichte ist eine Lüge, und wie jede Lüge ist sie wahr, und ich wollte, du und ich, wir wären dabei gewesen.

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