Ursprung und Wandel

Die Menschen auf der ganzen Welt haben schon immer Drogen genommen, die ihre Stimmung, ihre Wahrnehmung und ihr Erleben, kurz: ihr Bewußtsein verändern.


Sie haben diese psychoaktiven Substanzen zunächst sicher unabsichtlich entdeckt, dann aber absichtlich konsumiert. Da nun Rausch und Ekstase ebenso uralte wie allgemein verbreitete (und wohldokumentierte) Phänomene sind, läge es nahe anzunehmen, daß es auch die Sucht schon immer gegeben habe.
Erstaunlicherweise scheint das jedoch nicht der Fall gewesen zu sein.
So merkwürdig es klingen mag: Die Menschheit hat während fast ihrer gesamten Geschichte in einer Welt ohne Sucht gelebt - in einem Zustand und einer Selbstwahrnehmung, die sich erst im Zeitalter der Aufklärung und Industrialisierung radikal änderten und zur "Entdeckung", wenn nicht sogar, wie viele Wissenschaftler sagen, "Erfindung der Sucht" führten.

Ursprung und Wandel der Wortbedeutung

Süchtige sind immer auf der Suche: nach einer Droge, nach einem Gefühl.
Man glaubt deshalb vielfach, daß das Wort Sucht vom Verb "suchen" abstamme. Das ist jedoch nicht der Fall.

Die wirkliche Geschichte des Suchtbegriffs ist komplizierter - und aufschlußreicher. Zunächst bezeichnete Sucht nichts anderes als jede körperliche, nicht auf Unfällen und äußeren Verletzungen beruhende Krankheit.
Später sollte sich die Bedeutung des Begriffs noch hauflger häufiger um zunächst moralische Laster, dann die Hörigkeit einer Person gegenüber Rausch- und Betäubungsmitteln und schließlich auch andere Formen eines extremen Verlangens nach bestimmten Gefühlszuständen zu bezeichnen.

Der Begriff der Sucht kommt vom gotischen siukan (= krank sein) und war bis zum l6. Jahrhundert die generelle Bezeichnung für Krankheit (entsprechend dem lateinischen morbus).
Die "fallende Sucht" war dementsprechend nichts anderes als die "Fall-Krankheit" (Epilepsie), die "schwarze Sucht" die "Schwarz-Krankheit" (meist die Cholera). Außerdem gab es die schwere, die böse, die leidige, die giftige, die heiße, die kalte, die tobende und die schwindende, die gelbe, rote, weiße und bleiche, die ungarische und die neapolitanische Sucht und viele andere mehr.

Auf die immer wieder diskutierte Frage "Ist Sucht eine Krankheit?" gibt dieser Ursprung des Begriffs "Sucht" allerdings keine Antwort.
Denn ein Krankheitsbild der Drogenabhängigkeit gab es während dieser gesamten Epoche nicht. Die Idee einer Drogen- oder Rauschgiftsucht spielte im Denken jener Zeit keine Rolle.
Paradox forrmuliert: Als "Sucht" wurde in alter Zeit jede Krankheit bezeichnet - außer der Sucht selbst.

Vom 16. Jahrhundert an wurde "Sucht" aus seiner angestammten Bedeutung durch das Wort "Krankheit" verdrängt.

Nur wer sich bewußt altertümlich, ironisch oder metaphorisch ausdrücken wollte, sprach noch von "Sucht" und meinte dann meist einen extrem übersteigerten Hang, ein Laster oder eine den ganzen Menschen dominierende destruktive Tendenz.

Wenn zum Beispiel der Nürnberger Schuster und Poet Hans Sachs (1494-1576) von der "hänffenen Sucht" (-- Hanfsucht) sprach, dann meinte er keineswegs eine
Drogenabhängigkeit vom Cannabistyp, sondern den unglücklichen Hang der männlichen Mitglieder einer bestimmten Familie, ihr Leben am Hanfseil des Galgenbaumes zu beenden.

Auch Heinrich von Kleist (1777-1811) benutzte das Wort, als er vom Mißtrauen als der "schwarzen Sucht der Seele" sprach, in metaphorisch-ironischer Anlehnung an die damals schon veraltete medizinische Terminologie.
In Goethes Faust (1808) spielt Mephisto mit den Bedeutungen der Sucht zwischen "Mondsucht" und "faustischem Tatendrang", als er den Doktor Faustus fragt: "Der Du dem Mond um so viel näher schwebtest/Dich zog wohl Deine Sucht dahin?"

Sucht war um diese Zeit eine negative Charaktereigenschaft, wobei der Grad der Verurteilung vom kaum merklichen Spott bis zur gerichtlichen Strafbarkeit ("Spielsucht") reichen konnte. Während die "sehnende Sucht", aus der später mit der Sehnsucht ein Schlüsselbegriff der Romantik wurde, zunächst eine leicht spöttische Bezeichnung für den abnormen Seelenzustand des Verliebtseins darstellte, transportierten Neuschöpfungen wie "Geldsucht", "Lustsucht", "Zanksucht",
später auch "Ruhmsucht", "Gewinnsucht" und "Rachsucht" stärkere moralische Unwerturteile über eine als krankhaft bzw. unmoralisch angesehene Verhaltenstendenz.

Wer im 19. Jahrhundert von Sucht sprach, meinte damit eine Art Monomanie,
die alles Denken und Handeln auf bestimmte Ziele konzentrierte, eine krankhafte Verformung von Vernunft und Willen (z. B. "Machtsucht", "Sucht zur Weltherrschaft").
Eine negative Bewertung der wegen ihrer Dauer und Unersättlichkeit als Sucht bezeichneten Phänomene war um diese Zeit längst begriffsimmanent.

Mit einer Ausnahme. Für den Autor von Mein Kampf war klar, daß der Welt die Entscheidungsschlacht zwischen der "modernen Demokratie" und den "Völkern des brutalen Willens" noch bevorstehe.
Und da er die "Gesetze der natürlichen Kraftordnung" zu kennen glaubte, prognostizierte er: "Am Ende siegt ewig nur die Sucht der Selbsterhaltung.
Unter ihr schmilzt die sogenannte Humanität als Ausdruck einer Mischung von Dummheit, Feigheit und eingebildetem Besserwissen wie Schnee in der Märzensonne."

Das in dem Wort Sucht mit schwingende Element völliger Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Personen und Interessen war für Adolf Hitler offenbar noch lange kein Grund für ein negatives ethisches Urteil.

Die Trunksucht galt jahrhundertelang als eines unter vielen Lastern.
Erst im 19. Jahrhundert änderte sich ihre Bewertung in der Öffentlichkeit:
Aus dem Laster wurde eine Krankheit, die von Medizinern beschrieben, erforscht und behandelt wurde.

Sprachgeschichtlich betrachtet wurde die Trunksucht damit zur Brücke für einen weiteren generellen Bedeutungswandel des Wortes Sucht.
Denn in dem Maße, in dem sich zur Trunksucht andere Formen extremen Drogenkonsums gesellten, wurde Sucht zu einem medizinischen Fachbegriff für alle Arten der Hörigkeit gegenüber körperlich und / oder seelisch abhängig machenden Substanzen.

Dieser Abschnitt in der Begriffsentwicklung begann im Jahre 1784, als der
einflußreiche amerikanische Mediziner und Sozialreformer Benjamin Rush den Alkoholismus in seiner Untersuchung über die Wirkungen des Branntweins auf den menschlichen Körper und Geist erstmals als Krankheit definierte.

Je mehr Wirkstoffe von den Chemikern und Pharmakologen des 19. und 20. Jahrhunderts "entdeckt" (= isoliert) und "erfunden" (= synthetisiert) wurden, desto größer wurde die Anzahl der von den Ärzten beschriebenen Süchte und desto deutlicher empfand man die Notwendigkeit, sich über die gemeinsamen Merkmale all dieser Phänomene Gedanken zu machen und einen medizinischen Sammelbegriff für sie zu finden.
So kam es in der Zeit zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg zur Bildung der Begriffe "Giftsuchten" und "Rauschgiftsucht" und zu einer immer stärkeren Tendenz in der Medizin, das selbständige Substantiv "Sucht" als Fachterminus für die diversen Formen krankhafter Substanz- Abhängigkeiten zu begreifen.
Für alle nicht-stoffgebundenen Laster, Fixierungen und Perversionen wurden dagegen andere Begriffe gesucht.

War "Sucht" ursprünglich die generelle Bezeichnung für Krankheit gewesen, so sollte der Begriff um 1950 nur noch eine einzige und ganz spezielle Krankheit
bezeichnen, nämlich die Hörigkeit gegenüber Rausch- und Betäubungsmitteln.

In diesem Jahr definierte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) dann auch Sucht als einen "Zustand periodischer oder chronischer Intoxikation, die für das Individuum und für die Gesellschaft schädlich ist und hervorgerufen wird durch den wiederholten Gebrauch einer natürlichen oder synthetischen Droge".

Als charakteristisch für das Vorliegen einer Sucht galten der WHO
· erstens ein unbezwingbares Verlangen oder Bedürfnis (Zwang), den
Drogengebrauch fortzusetzen und die Droge mit allen Mitteln zu beschaffen,

· zweitens eine Tendenz, die Dosis zu erhöhen, und

· drittens eine psychische und manchmal auch physische Abhängigkeit von den Wirkungen der Droge.

Da die Hauptsorge damals den Opiaten galt und man die Ursache für das Süchtigwerden vor allem in den pharmakologischen Eigenschaften der Drogen selbst vermutete, wurde dem Vorliegen einer körperlichen Abhängigkeit besondere
Bedeutung beigemessen.

Es dominierte also eine "pharmakozentrische" Sichtweise der Sucht, die freilich angesichts zahlreicher Widersprüche zwischen wissenschaftlichen Befunden und politischen Vorgaben immer wieder für erhebliche Irritationen sorgte.
So wurden Kokain und Cannabis rechtlich als Suchtstoffe behandelt, obwohl sie die Definitionsmerkmale der Sucht gar nicht erfüllten.

Auch die barbiturathaltigen Schlafmittel und die stimulierenden Amphetamine
schienen in den fünfziger Jahren einerseits dringend einer intensiveren Kontrolle zu bedürfen, andererseits aber nach dem damaligen Stand des Wissens keine Sucht zu verursachen, so daß die WHO sich aus dieser Verlegenheit durch die zusätz
liche Einführung des Begriffs "Gewöhnung" zu retten versuchte.

Seit 1957 war sie bemüht, alle irgendwie proble- matischen Substanzen entweder der Kategorie der suchterzeugenden oder der gewöhnungserzeugenden Stoffe zuzuordnen.
Doch gerade dieser Versuch sollte sich als undurchfführbar erweisen, gab es doch immer wieder Fälle, in denen Substanzen, die scheinbar erwiesenermaßen "nur zur Gewöhnung" führten, extreme Abhängigkeiten erzeugten, während andere, die scheinbar zur "Sucht" führen mußten, dies in der Praxis keineswegs immer taten.

Die Definitionsprobleme wuchsen der WHO schließlich über den Kopf, so daß sie sich 1964 zu dem radikalen Schritt entschloß, auf den Suchtbegriff völlig zu verzichten. Statt dessen, so ihre Empfehlung, sollte man künftig nur noch von physischer (= körperlicher) und psychischer (= seelischer) Abhängigkeit sprechen. Damit war die offizielle Karriere des Suchtbegriffs in der Medizin beendet.

In dem Maße, in dem die Medizin das Interesse am Suchtbegriff verlor, wurde das Wort von seiner Fixierung auf Substanzen befreit und auch für einen metaphorischen Gebrauch zurückgewonnen. Eine der wichtigsten Konsequenzen dieser Befreiung des Suchtbegriffs aus dein Korsett der Drogen- fixierung ist wohl darin zu sehen, daß seither bei der Erforschung der Suchtursachen die Substanz immer weniger, das menschliche Begehren, seine Geschichte, Prägung und Bewertung hingegen immer größere Bedeutung gewinnen.


Gab es suchtfreie Epochen?

Drogenkonsum und Rauscherfahrungen gehören zu den ältesten Begleitern der Menschheit.
Die Effekte von Alkohol und Opium, aber auch die Wirkungen von Cannabis und halluzinogenen Pilzen, Früchten, Wurzeln und Blättern sind in vielen Weltgegenden schon seit Jahrtausenden bekannt.

Man sollte annehmen, daß der ofi exzessive Drogenkonsum früherer Epochen zwangsläufig mit Suchterscheinungen einherging.

Doch erstaunlicherweise scheinen sich Medizin- und Sozialhistoriker einig zu sein, daß die Menschheit, was Drogensucht im heutigen Sinne angeht, bis Ende des
18. Jahrhunderts noch in einem Stadium der Unschuld lebte.

Entzugserscheinungen waren praktisch unbekannt, und die Vorstellung, daß Menschen unter einem krankhaften Zwang leiden könnten, immer wieder bestimmte Substanzen zu sich nehmen zu müssen, war völlig fremd.
Man lebte - in den Worten des New Yorker Soziologen Harry G. Levine - trotz vielfachen und häufig exzessiven Drogenkonsums in einer "Welt ohne Sucht".

Tatsächlich findet sich weder in der Keilschriftliteratur der frühesten Hochkulturen zwischen Euphrat und Tigris (wo Opium schon im 4. Jahrtausend v. Chr. bekannt war) noch in den altägyptischen Papyrus-Rollen (die das Opium im 16. Jahrhundert v. Chr. als Bestandteil von über 700 Arzneimitteln erwähnen) oder in der Literatur der altgriechischen Ärzte (die das Opium als ihr wichtigstes Heilmittel betrachteten und es entsprechend freigebig anwandten) irgendein Hinweis auf Entzugserscheinungen.

Das gleiche gilt für den Alkohol.
In vielen Kulturen besaß er sowohl religiöse als auch medizinische Bedeutung, daneben eine beliebte Entspannungsfunktion als Alltags- wie auch als Festtagsdroge. Und während die altgriechische Literatur voller Abhandlungen über den Alkoholrausch ist, in denen Vor- und Nachteile behutsam gegeneinander abgewogen werden, hat man offenbar nie Entzugserscheinungen beobachtet.

Selbst Andeutungen, die sich mit einiger Mühe als Anspielungen auf suchtartige Phänomene deuten ließen, sind mehr als rar. Einzige Ausnahme: eine Episode in Homers Odyssee (8. Jahrhundert v. Chr.), in der einige von Odysseus wackeren Gefährten von den Früchten bzw. Blüten einer fremden Pflanze kosten und daraufhin schlagartig ihre Prioritäten ändern: Odysseus, ihre Kameraden, ihre Heimat und alles, was sonst für sie wichtig war, wird bedeutungslos - sie wollen nur noch immer weiter Lotus essen.
Worauf beruhte die merkwürdige Abwesenheit von Berichten über körperliche Abhängigkeit, Entzugserscheinungen und Suchtverhalten in der antiken, mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Welt? Man kann folgende Gründe vermuten:
Geringe Wirkstoffkonzentration. Bis zur Verbreitung der Alkoholdestillation (l6. Jahrhundert) gab es noch keine hochprozentigen Alkoholika. Auch die chemische Isolierung der reinen Wirkstoffe aus den Drogenpflanzen (Morphin, Kokain) und die Synthetisierung von Drogen (Heroin) wurde erst im 19., teilweise sogar erst im
20. Jahrhundert möglich.

Sanfter Konsum. Wein wurde in der Antike meist verdünnt getrunken. Opium wurde meist mit anderen Substanzen gemischt und dann entweder gegessen oder getrunken und deshalb nur langsam durch den Magen-Darm-Trakt absorbiert.
Da die Droge das Gehirn nur langsam erreichte, verringerte sich die euphorische Wirkung und damit auch das Bedürfnis nach schneller Wiederholung der Erfahrung. (Injektionsmöglichkeiten gab es erst seit dem 19. Jahrhundert.)

Konviviale Berauschung. Viele Kulturen schätzten zwar durchaus den Rausch, aber weder ging es dabei um die bloße Betäubung (wie beim Elendsalkoholismus des 19. Jahrhunderts) noch waren die Trinker sozial isoliert.
Im Gegenteil: Gerade dann, wenn es um die Erzielung von Rauscheffekten ging, nahm man die Substanzen in geselliger Runde und unter Befolgung risikomindernder Regeln und Rituale zu sich.

Geringe Abweichungschancen. Rauschmittelkonsum war in magische, religiöse und andere Normensysteme von hohem Verpflichtungsgrad eingebettet.
Die soziale Kontrolle, die von den kleinen Gemeinschaften über ihre Mitglieder ausgeübt wurde, war stärker und wirkungsvoller als in der Moderne.
Ein Abdriften in extreme und individualistische Konsumformen war nicht so leicht.

Kontinuierliche Verfügbarkeit. Die Rauschmittel, die man üblicherweise konsumierte, standen praktisch immer zur Verfügung. Da man aber körperliche Abhängigkeit nur dann bemerkt, wenn der Nachschub plötzlich ausbleibt, gab es für diese Erfahrung womöglich weder für Alkohol- noch für Opiumfreunde viel Gelegenheit.

Der letztgenannte Punkt führt zu der Frage, ob es denn in vormoderner Zeit überhaupt schon ein Verhalten gab, das wir heute als Suchtverhalten bezeichnen würden, also "Alkoholiker" und "Opiatsüchtige", auch wenn den Zeitgenossen die heutigen Konzepte und Begriffe noch gefehlt haben mochten.

Auch auf diese Frage fällt die Antwort nicht eindeutig aus: Was den Alkohol angeht, so gab es in verschiedenen vormodernen Epochen sehr wohl einige Individuen (und im 16. Jahrhundert in Deutschland offenbar sehr viele), die sich nach damaligem Verständnis der Trunksucht verschrieben hatten und die nach heutiger Auffassung wohl als Alkoholiker zu bezeichnen wären - nur daß man ihr Verhalten seinerzeit als übertriebene Neigung zum Trinken und nicht als krankhaften Zwang interpretierte. Sie waren, wie der Berliner Kultursoziologe Hasso Spode sagt, "nach heutigen Gesichtspunkten Kranke, nur gab es solche Gesichtspunkte damals nicht".

In der Antike dürften solche Menschen sehr seltene Ausnahmen gewesen sein.

Was das Opium angeht, so ist es zwar denkbar, daß es Menschen mit einer körperlichen Abhängigkeit immer schon gegeben hat.
Doch ganz sicher kann man sich dessen angesichts fehlender Berichte über Entzugserscheinungen nicht sein. Sich vorzustellen, daß die ununterbrochene Verfügbarkeit dafür der maßgebliche Grund gewesen sein sollte, fällt schwer.
Ein anderer Gesichtspunkt sollte jedoch nicht außer acht gelassen werden:
Eine Droge, deren Konsum eine unspektakuläre alltägliche Gewohnheit ist, gewinnt nicht so schnell die zentrale Bedeutung im Leben eines Menschen, die ihr unter den Bedingungen der Illegalität schon wegen der extremen Preise, der Verheimlichungspraktiken, der Beschaffungskriminalität usw. nur allzu leicht zufällt.

Die Geburt der Sucht aus Elend und Aufklärung

Im Gegensatz zum Rausch, der den Menschen von Anfang an bekannt war, ist die Sucht eine Erscheinung der Moderne.
Mittelalterliche Abhängigkeiten wurden gesprengt, aber auch haltgebende soziale Zusammenhänge zerstört und große Teile der Gesellschaft in Extremformen von Ausbeutung und Verelendung getrieben.
Das veränderte Trinkmuster und -motivation.
Die Moderne befreite das ökonomische Spiel der Kräfte von religiöser und politischer Bevormundung - und fegte zugleich alle sittlichen und sonstigen Schranken hinweg, die einer hemmungslosen Ausbeutung der Arbeitskraft und einer nahezu gewaltförmigen Vermarktung der Manufaktur- und Industrieprodukte noch im Wege gestanden hatten. Schließlich entwickelte sich der Staat zum modernen Steuerstaat und wurde damit automatisch zum Interessenten an einer möglichst weiten Verbreitung der gewinnbringenden Tabak- und Alkoholprodukte.

Die Technik der Destillation, mit der sich die Alkoholkonzentration von 14% auf rund 50% erhöhen ließ, war über Arabien schon im 12. Jahrhundert nach Europa gekommen, dort aber auf Klöster und Apotheken beschränkt geblieben.
Doch seit dem 16. Jahrhundert boomte die Schnapsindustrie. Vor allem Adlige profitierten als Gründer entsprechender Fabriken, als Verpächter von Schankwirtschaften und natürlich auch über Steuern und Abgaben.

die blaue Mondin - von Z. - Gesellschaftliche und soziale Fragen der Suchtkrankheit ------